Mode will Farbe

5. Teil zur Geschichte der Modefotografie: Die Entstehung der Farbfotografie in Mode und Werbung

Mit der Farbe in der Fotografie ist das so eine Sache, sie ist wie Dynamit – gefährlich, wenn man nicht weiß, wie man damit umgeht.

Im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts tauchten in zeitgenössischen Ausstellungen und Museen vermehrt Farbfotografien auf. Zur Sicherheit wurde der geneigte Kunstkenner jedoch noch vor dem Besuch gewarnt, farbige Fotografien waren schließlich Produkte der Konsumkultur und somit ästhetisch abzulehnen. Denn selbstverständlich – und dieses Vorurteil hält sich hartnäckig bis heute – hat die künstlerisch anspruchsvolle Fotografie unbedingt schwarz-weiß zu sein. Farbe ist der Mode, der Werbung und ganz besonders der Amateurfotografie vorbehalten, denn sie ist laut, bunt, vulgär. Und kompliziert ist sie darüber hinaus auch noch, denn anders als der auch solitär leicht beherrschbare Schwarzweiß-Prozess ist ein Farbfoto beinahe immer das Ergebnis eines umfangreicheren Gewerkes, die Autorenschaft scheinbar verwässert.  

Die frühen Experimente mit verschiedenen Farbprozessen waren im Wesentlichen der Novität der farbigen Darstellung geschuldet, kommerziell verwertbar waren diese weder in Abbildungsqualität noch in Reproduktionseffizienz, wie beispielsweise das bereits 1903 vorgestellte Autochromverfahren der Gebrüdern Auguste und Louis Lumière zur Erstellung farbiger Diapositive. Der erste überzeugende und auch von einigem Erfolg gekrönte Durchbruch in sowohl Farbfotografie als auch der sich daran anschließenden notwendigen drucktechnischen Reproduktion gelang im Umfeld der amerikanischen Vogue in den Jahren kurz vor dem Zweiten Weltkrieg.

Der Brühl-Bourges-Prozess basierte teilweise auf der Farbseparationstheorie, die etwa 70 Jahre zuvor von James Clerk Maxwell (schottischer Physiker, ihm gelang 1861 der experimentelle Nachweis der Farbreproduktion) entwickelt wurde. Zwischen 1931 und 1936 arbeitete der Fotograf Anton Brühl mit dem versierten Fotograveur und Techniker Fernand Bourges zusammen, um Farbbilder von erstaunlicher Qualität zu produzieren, ohne dabei auf Echtfarbfilme zurückgreifen zu können. Die Spezialkamera nahm die üblicherweise der Druckvorstufe vorbehaltene Farbseparation vorweg, indem die subtraktiven Grundfarben gleichzeitig auf unterschiedlich farbempfindliche die Folien im Format 8x10“ belichtet wurden. Dabei arbeiteten die beiden eng zusammen: „Brühl entwarf das Bild, das Bourges mit der von ihm gebauten Kamera aufnahm: Während der Belichtung fiel Licht durch drei dünne Acetatfolien mit Emulsionen unterschiedlicher Farbempfindlichkeit. Die Techniker von Condé Nast verwandelten die Verbundfolie dann in einen Kupferstich für den Druck.“ [1] Die vier Tintenfarben, die auf die Kupferdruckplatte aufgetragen wurden, waren Cyan, Magenta, Gelb und Schwarz, eine Kombination, die in der Druck- und Verlagswelt als CMYK bekannt ist.

Cyan, Magenta, Yellow.

Die Leistung des Duos war außergewöhnlich: Zwischen Mai 1932 und Dezember 1934 veröffentlichten die amerikanische Vogue, Vanity Fair und House & Garden insgesamt 195 redaktionelle Seiten mit Farbfotografie. Im selben Zeitraum produzierten Brühl und Bourges 479 Fotografien für die Anzeigenkunden der Zeitschriften.

Die Kosten für jede Seite des auffälligen Farbleitartikels der Vogue wurden subventioniert durch eine entsprechende Seite mit farbiger Werbung. Für den Leser waren die Farbfotografien der Höhepunkt schicker Modernität; für den Werbetreibenden war Farbe, in wirtschaftlich schwerer Zeit eine neue, auffällige Art, Produkte zu bewerben.

In den 1920er Jahren hatte die Fotografie begonnen, die Illustration als bevorzugtes visuelles Medium für Werbetreibende abzulösen; Anfang des Jahrzehnts verwendeten weniger als 15 Prozent der illustrierten Anzeigen in Mainstream-Magazinen Fotografien; 10 Jahre später waren es fast 80 Prozent. Fotografen wie Edward Steichen oder Horst P Horst starteten erfolgreiche kommerzielle Werbekarrieren, die parallel zu ihrer redaktionellen und künstlerischen Arbeit verliefen. Die Entwicklung der Farbanlagen von Condé Nast wurde durch den potenziellen Mehrwert vorangetrieben, wie er von den Kunden des Verlages Condé Nast – den Werbetreibenden, weniger der Leserschaft -wahrgenommen wird.

Um mehr Unternehmen zu ermutigen, in Farbseiten zu investieren, veröffentlichte Condé Nast 1935 „Color Sells“. Die großzügige Werbebroschüre enthielt 64 Beispiele des Brühl-Bourges-Prozesses, sowohl redaktionelle Doppelseiten als auch Anzeigen aus den letzten Ausgaben von Vogue, Vanity Fair und House & Garden. Sein einleitender Text kündigt „Die Einführung einer neuen Kunst“ an, und der zweiseitige Essay erklärt, dass Condé Nast Farbbilder von höchster Qualität liefern konnte. Neben den Bildern sind fettgedruckte Zitate zu sehen, darunter: „Farbfotografie: eine vollendete Tatsache“ und „Farbe ist wie Dynamit – gefährlich, wenn man nicht weiß, wie man damit umgeht.“ In der ersten Hälfte der 1930er Jahre dominierte der Brühl-Bourges-Prozess die Farbwerbung und brachte Condé Nast ein virtuelles Monopol auf Farbfotografie.

Zur gleichen Zeit entwickelten Chemiker bei Kodak den ersten brauchbaren Farbumkehrfilm der Welt, den 1935[2] präsentierten Kodachrome. Agfa zieht in Deutschland kurz darauf mit dem Agfa Color nach. Das Filmmaterial ist zunächst dramatisch lichtunempfindlich: Kodachrome liegt bei seiner Einführung etwa um ISO zehn, und auch später im Lauf seiner über 70-jährigen Existenz wird der Film nie „schneller“ als mit ISO 200 angeboten. Ein früher Kodachrome war demnach mindestens vier Blenden unter dem heute üblichen nominalen ISO-Wert von 100. Entsprechend der „die Sonne lacht, Blende 8“ Regel wäre der frühe Farbfotograf selbst an einem sehr sonnigen Tag entweder bei einer Verschlusszeit von um/unter 1/15 angekommen, oder bei unverändertem Verschluss bei einer Blende um/unter F2. Unmöglich bei sich bewegenden Motiven; und die heute üblichen Lichtstarken Objektive waren zu jener Zeit auch für das Kleinbild teure Raritäten.

Frühe Farbfotografie kaprizierte sich also schon aus rein technischen Gründen zunächst auf das statische ebenso wie das fröhlich sonnige. Die frühen Farbfotografen zog es mitunter notgedrungen ins Licht, die Sonne, den Strand oder die Wüste. Was wiederum erklären mag, warum zahlreiche frühe Farbfotografen, beispielsweise Clifford Coffin oder auch Luise Dahl-Wolfe einige ihrer bemerkenswerten Sujets in schattenlosen Sonnenlicht inszeniert haben. Vielen dieser frühen Farbfotografien sah aber stets auch den Wunsch an, das neue Medium vollumfänglich zu nutzen, also möglichst viel Farbakzente in ein Bild zu quetschen. Der großartige Erwin Blumenfeld bemerkt dazu später treffend „... das Ergebnis war eine chromatische Orgie von grässlichem Geschmack, akzentuiert von Grafikern und Druckern, die sich verpflichtet fühlten, es so verdichten, dass die Farbe überall war."[3] Und er ergänzt: „Das Hauptgeheimnis bei der Arbeit mit Kodachrome ist, dass man nicht mit Farben, sondern mit farbigen Lichtern arbeiten sollte."[4] [5] [6]

Die Farbfotografie ist heute dank der dritten und vierten fotografischen Revolution – der Massen- und der Digitalfotografie - jederzeit verfügbar, abrufbar in allerhöchster, stets gefälliger Qualität dank automatisierter Retusche. Ihre Komplexität ist geblieben, nur kann heute die Entscheidung wie eine Fotografie letztlich veröffentlicht wird bis zuletzt prolongiert werden; anstelle einer vorab getroffenen Entscheidung für eine bestimmte Filmemulsion – die wiederum das Ergebnis mitunter jahrelanger und gelegentlich auch politisch motivierter Forschung ist – sieht sich der Fotograf von heute in der digitalen Bildproduktion einem sich häufig wandelndem und darüber hinaus auch selbst infrage stellendem Prozess gegenüber.

Farbige Fotografie erleichtert häufig die Suggestion des Authentischen, und somit dem Betrachter das Eintauchen in bestimmte Bildwelten. Kein Wunder also das die Farbfotografie das Wunschkind der Mode, der Werbung war. Aber auch der Propaganda, wie beispielsweise in Deutschland, in dem Göbbels die Forschung bei Agfa unterstütze, und später die ästhetische Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu Kodak aus ideologischen Gründen einforderte.

Zum Glück ist die Welt heute auch weiter farbig, nicht einfach nur braun oder bunt. Und es gibt nur wenig, was immersiver als die Farbwölkchen eines perfekt belichteten Farb-Umkehrfilms sind. Ein Meister der Modefotografie in Farbe wie auch Schwarzweiß war übrigens der bereits zitierte und in beinahe jeder Beziehung besondere Erwin Blumenfeld. Dazu dann in Bälde mehr.  

In jedem Fall freue ich mich jedoch Sie hier – am Ende des Textes – Begrüßen zu können und möchte mich ganz ausdrücklich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken. Schreiben Sie mir ein E-Mail, wenn es Fragen gibt, oder Sie Fehler gefunden haben.

Kurze Geschichte der Modefotografie

Was bisher geschah:
Die beiden Barone
Revolution am Strand 
Clifford Coffin
Horst P Horst

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[1] “Horsts World in Colour,” Shawn Waldron in Horst – Photographer of Style, V&A, London, 2014

[2] Planfilm ab 1938.

[3] "... the result was a chromatic orgy of the most horrendous taste, accentuated by engravers and the printers who felt obliged to pile it on so the colour was everywhere."

[4] “The main secret of working with Kodachrome is that you shouldn't work with colours, but with coloured lights"

[5] Blumenfeld sprich hier nicht von Gels, sondern von Farbstimmungen.

[6] Originalzitat in Photo No. 98, 2. November 1975, übernommen aus Erwin Blumenfeld, Color, Steidl, Göttingen 2013.

 
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