Bilder des Bösen – Böse Bilder

Das Paradies wie es die Maschine sieht. Dall-E.

Eine Kulturgeschichte der Bilder des Bösen
1. Teil.

Das Grauen des 7. Oktober, wie auch der Krieg in der Ukraine, hat eine neue mediale Dimension erschreckender Bilder eröffnet. In der Ukraine wird der Betrachter zum ersten Mal zum unmittelbaren Augenzeugen von Drohnentötungen selbst einzelner Soldaten und verfolgt das individuelle Sterben aus der Ich-Perspektive, bequem vom Bildschirm aus. Der ungebändigte Terror der Hamas in Israel präsentierte sich als Wiederaufführung des blutrünstigen Abschlachtens des Dreißigjährigen Krieges, als schamlose Darbietung für die Weltöffentlichkeit der sozialen Medien.

Das Böse hat neue Bilder geboren. In ihrer brutalen Intimität verstörende Bilder, die – anders als in der Vergangenheit – nicht länger an das Gute appellieren, sondern um Zustimmung heischen, über das visuelle eine Komplizenschaft herstellen wollen. Der Massenmörder, der Vergewaltiger als Influencer, getrieben von der Jagd nach Zuspruch oder Spenden. Was bis vor Kurzem noch unvorstellbar und der Fiktion dystopischer Erzählungen vorbehalten war, tritt heute mit größter Selbstverständlichkeit ins Licht der Öffentlichkeit.

Diese Verschiebung in der Darstellung des Bösen, von ursprünglich symbolischen zu unmittelbar drastischen Bildern, markiert einen signifikanten Wandel in unserer Auseinandersetzung mit und unserem Verständnis von menschlicher Dunkelheit und Moral. Die Kulturgeschichte der Bilder des Bösen sagt viel über unseren Umgang mit der dunklen Seite der menschlichen Seele, ebenso über unseren Umgang mit unserer eigenen Sterblichkeit.

Im Laufe der Jahrhunderte haben Künstler das Böse in vielfältigen Formen dargestellt, um sowohl die tiefsten Ängste als auch die verborgensten Wünsche der Menschheit widerzuspiegeln. Wie Umberto Eco in seinen Analysen der Semiotik darlegt, ist die Darstellung des Bösen nicht nur ein Spiegelbild der Zeit, in der sie entsteht, sondern auch ein Medium, durch das gesellschaftliche Normen, Ängste und Werte verhandelt und verstanden werden: das Böse ist stets auch ein Spiegelbild unser selbst.

In der Antike waren die Darstellungen des Bösen eng mit Mythen und Legenden verflochten, um die unergründlichen Aspekte der menschlichen Existenz zu erklären und zu veranschaulichen. Diese künstlerischen und literarischen Werke waren nicht nur kreative Ausdrücke, sondern sehr schnell auch didaktische Werkzeuge, die ihren Teil dazu beitrugen, die Gesellschaft ebenso zu formen wie zu leiten.

Der Kopf der Medusa steht im Mittelpunkt eines Mosaikbodens in einem Tepidarium der Römerzeit. Sousse, Tunesien.

In der griechischen Mythologie war es beispielsweise die Gestalt der Medusa, mit ihren Schlangenhaaren und dem versteinernden Blick. Sie verkörpert nicht nur physisch Böses und Gefahr, sondern symbolisiert auch tiefere Themen wie Wut, Rache - und ebenso auch die Verführungskraft des Weiblichen. 

Oder der Minotaurus, ein Wesen halb Mensch, halb Stier, eingeschlossen im Labyrinth von Kreta. Diese Gestalt veranschaulicht nicht nur die Angst vor dem Unbekannten und Unkontrollierbaren, sondern auch das Konzept der menschlichen Opferbereitschaft und der Konfrontation mit den eigenen inneren Dämonen.

Seth und Nephthys, Louvre, Frankreich

Dem Minotaurus nicht unähnlich ist die wesentlich ältere Figur des Seth, des Gottes des Chaos und der Zerstörung, als Darstellung des Bösen und als Gegenspieler zu Ordnung und Harmonie, repräsentiert durch Götter wie Osiris und Horus. Seths wird oft als eine Kreatur mit einem Hundeschnauze-ähnlichen Kopf, spitzen Ohren und einem langen, gekrümmten Schnauzbart dargestellt. Seine genaue Tierform ist jedoch ebenso unklar wie einzigartig in der Mythologie des Alten Ägypten.

Während in der Antike das Böse oft durch mythologische Mischwesen innerhalb polytheistischer Glaubenssysteme symbolisiert wurde und Teil eines größeren kosmischen Gleichgewichts war, basierte das mittelalterliche Verständnis des Bösen auf theologischen Konzepten, die es als moralisch verwerflich und als Gegensatz zu göttlicher Ordnung sahen. Diese Veränderung spiegelt nicht nur den Wandel religiöser und kultureller Ansichten wider, sondern auch eine Evolution in der Art und Weise, wie Gesellschaften über die Jahrhunderte hinweg das Konzept des Bösen interpretiert und künstlerisch dargestellt haben. Die Darstellungen waren häufig Auftragsarbeiten des Klerus und fungierten als visuelle Predigten, die die moralischen Lehren der Kirche veranschaulichten und die Gläubigen vor den Gefahren der Sünde und den Schrecken der Hölle warnten.

 

Der Totentanz oder Danse Macabre, eine Allegorie auf die Universalität des Todes, war im Spätmittelalter ein häufiges Gemäldemotiv - Nürnberger Chronik, Hartmann Schedel (1440-1514)

Die Pestpandemien, die ab Mitte des 14. Jahrhunderts auftraten und später oft als der Schwarze Tod bezeichnet wurden, hatten mit einer Sterblichkeitsrate von bis zu der Hälfte der Bevölkerung einen tiefgreifenden Einfluss auf die europäische Gesellschaft und Kultur. Sie prägten nachhaltig die Darstellung und Wahrnehmung des Bösen. In einer Zeit, in der das medizinische Wissen begrenzt und Aberglaube weit verbreitet war, erschien die Pest als eine unerklärliche und unaufhaltsame Kraft. Sie löste Urängste aus und stellte gleichzeitig die Lehren der Kirche sowie die kommunale Ordnung in Frage. Warum sollte man folgsam sein oder sich unterwerfen, wenn der Schwarze Tod doch scheinbar unvermeidlich ist?

In der Folge wurden die Pestepidemien, ebenso wie generell alle großen, unerklärbaren Katastrophen, als Bestrafung Gottes für die Laster der Menschen umgedeutet. Das Böse wurde nicht mehr nur in Form von personifizierten Dämonen oder mythologischen Figuren dargestellt, sondern auch als eine für das menschliche Auge unsichtbare, alles durchdringende Bedrohung.

In der bildenden Kunst begannen Künstler daraufhin, den Tod selbst verstärkt als Figur darzustellen – oft in Form des Sensenmanns, der als Symbol für die Unvermeidlichkeit des Todes und die Gleichheit aller Menschen im Angesicht des Todes stand.

Der massive Bevölkerungsrückgang und die damit einhergehenden sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen führten ebenso zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit Themen wie der Vergänglichkeit und der Sinnlosigkeit irdischer Güter. Motive wie das Memento Mori – die Mahnung an die Vergänglichkeit des Lebens – und die Vanitas-Symbolik, welche die Nichtigkeit weltlicher Freuden und Errungenschaften unterstreicht, wurden in der künstlerischen Darstellung zunehmend verbreitet. Es scheint fast so, als hätte die Willkür und ständige Nähe des Todes zu einer mitunter liebevollen, doch in jedem Fall kaltblütig gleichgültigen Darstellung wie auch Wahrnehmung der eigenen Sterblichkeit geführt.

Der Garten der Lüste - Hieronymus Bosch, ca. 1490-1500

Hieronymus Bosch schuf mit dem "Garten der Lüste", die faszinierende Darstellung einer Welt voller Sünde und Ausschweifung. Dieses Gemälde, reich an für die Zeit pikanten und ebenso anschaulichen Details, zeigt auf symbolträchtige Weise die Versuchungen der Welt und die Folgen des sündhaften Nachgebens. Es illustriert eindrucksvoll die kirchliche Botschaft der Verdammnis als Konsequenz der Sünde und ist sowohl künstlerisches als auch kirchenpropagandistisches Werkzeug.

Angelegt als Triptychon zeigt es drei unterschiedliche Szenen.

Auf dem linken Flügel ist eine Darstellung des biblischen Paradieses zu sehen. Im Vordergrund erkennt man die Erschaffung Evas durch Gott, während Adam neben einem Teich sitzt. Diese Szene ist von einer üppigen, tierreichen Landschaft umgeben, die einen grundsätzlich friedlichen und harmonischen Eindruck vermittelt. Die Darstellung enthält viele exotische, fantastische Tiere und Pflanzen, gleichzeitig aber auch Dissonanzen in Form von bedrohlichen Kreaturen und metaphorischen Hinweisen.

Das zentrale Panel, nach dem das gesamte Werk benannt ist, zeigt eine lebhafte, chaotische Szene voller nackter Figuren, die sich in verschiedenen sinnlichen und spielerischen Aktivitäten ergehen. Diese Darstellung scheint eine Art irdisches Paradies oder eine Welt der Freuden zu sein. Die Figuren interagieren mit einer Vielzahl von Tieren, Früchten und fantastischen Strukturen. Die Szene ist reich an Symbolik und kann als Darstellung der menschlichen Verführbarkeit und Sündhaftigkeit interpretiert werden.

Der rechte Flügel stellt eine düstere, albtraumhafte Vision der Hölle dar. Hier sind die Sünden und Laster der mittleren Szene mit Strafe und Qualen verbunden. Diese Darstellung der Hölle ist voller grotesker, teils erschreckender Szenen mit Monstern, bizarren Bestrafungen und dem Leiden der Verdammten.

Der "Garten der Lüste" warnt vor den Gefahren sinnlichen Vergnügungen und betont über die Darstellung der Hölle die Notwendigkeit der moralischen Wachsamkeit – gleichzeitig gibt es einer durchaus explizit-voyeuristischen Darstellung weltlichen Vergnügens viel Raum – wohl auch weil der „Garten“ keine klerikale, sondern eine weltliche Auftragsarbeit war.

Pieter Bruegel der Ältere: Der Triumph des Todes (um 1562) – Museo del Prado, Madrid

Pieter Bruegel der Ältere konzentriert sich hingegen in seinem eingangs der Renaissance entstandenem "Triumph des Todes" sich auf den Tod als allmächtige Kraft, die unerbittlich über die Menschheit herrscht.

Ausschnitt - der junge Mann.

Das Bild ist in dunklen Tönen gehalten und zeigt eine weite, zerstörte Landschaft, die von Tod und Verwüstung geprägt ist. Im Zentrum des Bildes sieht man den Tod, dargestellt als Skelett oder als Armee von Skeletten, die mit verschiedenen Waffen ausgestattet sind. Diese Todesschwadronen reiten auf ausgemergelten Pferden, durchziehen die Landschaft und töten Menschen aller Gesellschaftsschichten – von Königen und Rittern bis zu Bauern und Bettlern. Die Menschen werden in verschiedenen Szenen des Leidens und der Verzweiflung dargestellt. Sie werden vom Sensenmann in den Untergang getrieben, auf alle erdenklichen Arten gerichtet oder liegen bereits tot und ausgeraubt am Boden. Nur wenige stellen sich dem Tod in aussichtslosen Kämpfen entgegen – darunter zwei Soldaten im Moment ihres scheiternden, sinnlosen Aufbegehrens. In der rechten Ecke des Bildes ist ein junger Mann zu sehen, dessen Schicksal noch ungewiss erscheint, während der Narr sich offenbar unter einem Tisch zu verstecken sucht. Er scheint es trotz allem mit der Ewigkeit aufnehmen zu wollen. Doch es gibt keinen Ausweg, kein Entrinnen; die eigene Vergänglichkeit ist allgegenwärtig.

Der gleiche Ausschnitt aus einer später entstandenen Kopie. Pieter Brueghel der Jüngere,1628, Kunstmuseum Basel

Das Gemälde ist reich an symbolischen Elementen, die die Vergänglichkeit des Lebens und die Unausweichlichkeit des Todes thematisieren. Ebenso nivelliert der Tod alle sozialen Unterschiede da niemand – unabhängig von Status oder Reichtum – ihm entkommen kann.

Kunstwerke wie die Darstellung des Jüngsten Gerichts oder Boschs "Garten der Lüste" dienten nicht nur dazu, die Gläubigen über Sünde und Erlösung aufzuklären, sondern auch dazu, die Macht und Autorität der Kirche als Bewahrerin der göttlichen Wahrheit und als Wegweiser zu einem tugendhaften Leben zu unterstreichen. In einer Zeit, in der die meisten Menschen Analphabeten waren und der Zugang zu religiösen Texten begrenzt war, spielten bildliche Darstellungen eine entscheidende Rolle in der Kommunikation zentraler Botschaften. Diese Kunstwerke waren nicht nur ästhetisch wertvoll, sondern dienten auch als pädagogische und propagandistische Instrumente, die das mittelalterliche Weltbild prägten und die Vormachtstellung der Kirche festigten – ein Aufbegehren gegen die ständische Gesellschaft der Zeit ist angesichts des unausweichlichen Schicksals sinnlos, letztlich fordern die Werke Bruegels als auch Boschs stets den Gehorsam und die Fügsamkeit der Herde ein.

Die besondere Präsentation wichtiger Kunstwerke in geschlossenen Altären, die nur zu speziellen Anlässen geöffnet wurden, betont darüber hinaus ihren auch unmittelbar kommerziellen Wert als Publikumsmagneten. Diese Praxis, sakrale Kunst nur zu bestimmten liturgischen Zeiten oder Festen zu enthüllen, steigerte die mystische und spirituelle Erfahrung der Gläubigen und zog große Menschenmengen an.

 

Mit dem Fortschreiten der Renaissance begann eine subtilere und individuellere Darstellung des Bösen. Künstler wie Leonardo da Vinci und Michelangelo zeigten in ihren Werken die Dualität der menschlichen Natur. Charaktere wie Faust und Macbeth, die in der Literatur dieser Zeit auftauchten, verkörperten das Böse durch menschliche Schwächen und Ambitionen, wodurch ein komplexeres Verständnis des Bösen entstand – das Böse wurde menschlich, nahm Menschengestalt an.


Die Erfindung der beweglichen Lettern und des Buchdrucks um 1440, gefolgt von der Reformation und den daraus resultierenden Religions- und Territorialkriegen die 1618 im Dreißigjährigen Krieg mündeten, markierte eine signifikante Verschiebung in der Kunst von sakralen zu weltlichen Themen. Diese Ära sah eine Zunahme der idealisierten Darstellung aktueller Geschehnisse und entscheidender Schlachten, die oft den Interessen des Adels dienten und dementsprechend als Auftragsarbeit weniger an der Realität als an der Lobpreisung des jeweiligen Mäzens interessiert war. Parallel dazu entstand mit dem gedruckten Flugblatt oder Pamphlet ein Vorläufer der Zeitung, der rasch für propagandistische Zwecke genutzt wurde.

„Der Galgenbaum“, aus dem 18-teiligen Radierzyklus „Die großen Schrecken des Krieges“ (Les Grandes Misères de la guerre), nach Jacques Callot (1632)

Die Radierung eines mit Delinquenten überfüllten Galgenbaumes des französischen Künstlers Jacques Callot ist dabei einer der wohl bekanntesten wie auch verstörenden Darstellungen des Grauens und des massenhaften Sterbens dieser Zeit. Jacques Callot war ein Barock-Kupferstecher und Zeichner aus dem Herzogtum Lothringen – einem unabhängigen Staat an der nordöstlichen Grenze Frankreichs, der südwestlichen Grenze Deutschlands und den südlichen Niederlanden. Callot schuf mehr als 1.400 Radierungen, die das Leben seiner Zeit dokumentierten. Seine Werke zeigen Soldaten, Clowns, Trunkenbolde, Zigeuner, Bettler sowie das höfische Leben. Zudem stach er zahlreiche religiöse und militärische Bilder, wobei viele seiner Drucke ausgedehnte Landschaften im Hintergrund aufweisen.

Entstanden etwa um 1633 stellt seine aus 18 Tafeln bestehende Serie "Les grandes misères de la guerre" die Realitäten des Dreißigjährigen Krieges auf eine ebenso anschauliche wie drastische Weise dar. Diese Werke zeigen nicht nur die leidende Zivilbevölkerung, sondern folgt dem Schicksal der Soldaten, die – bei Fehlverhalten - eingesperrt, gerädert, gelyncht wurden oder als verkrüppelte Bettler mittellos endeten.

Zwar wird keine spezifische Kampagne abgebildet, vermutlich bezieht sich die Serie auf die zeitgleiche Besetzung und Annektion Lothringens – Callots Heimat – durch von Kardinal Richelieu entsandte französische Truppen.

Tafel 5

Die Serie kann für sich in Anspruch nehmen, einer der ersten populären Comicstrips in seiner Frühform zu sein, da jedes Bild von einem ebenso allegorischen wie beschreibenden Text begleitet wird. Gezeigt wird das Soldaten- oder Söldnerleben, beginnend mit der Rekrutierung und gefolgt von einer Schlachtszene. Auf den folgenden Tafeln zerfällt offenbar die Disziplin im Nachgang der Schlacht. Diese zeigen nun nacheinander Banden marodierender Soldaten, die einen Bauernhof, ein Kloster und eine Kutsche überfallen sowie ein Dorf niederbrennen. Die Soldaten rauben, foltern, morden, vergewaltigen und entführen ihre ihnen schutzlos ausgelieferten Opfer.

In den Tafeln 9 bis 14 werden sie eingefangen und verschiedenen öffentlichen Folter- und Hinrichtungsmethoden unterzogen. Tafel 15 zeigt verstümmelte Soldaten vor einem neoklassizistischen Krankenhaus, die auf Einlass hoffen. Tafel 16 präsentiert ausgemusterte Soldaten, die auf der Straße betteln und sterben, und Tafel 17 zeigt Bauern, die sich an einer von ihnen gefangenen Gruppe entlassener Soldaten rächen und diese mit Dreschflegeln töten. Die abschließende Tafel illustriert einen auf seinem Thron sitzenden König, der Belohnungen an die siegreichen Generäle verteilt – nur für den Adel hat sich der Krieg gelohnt.

Tafel 15

Jeder Druck hat unter dem Bild eine sechszeilige allegorische Versunterschrift, verfasst von dem in der Zeit bekannten Drucksammler Michel de Marolles. Alle zeigen weite Panoramaansichten mit vielen winzigen Figuren und Details, wie es für Callots Werk typisch ist. Die Technik, die Platte mehrfach mit Säure zu behandeln, wobei unterschiedliche Bereiche abgedeckt werden, wurde von Callot perfektioniert. Diese Methode ermöglicht Abstufungen in der Stärke der Linie, wobei entfernte Teile der Szene normalerweise heller sind und sich somit im Dunst zu verlieren scheinen.

Die eingangs erwähnte Tafel 11, die eine alte Eiche mit zahlreichen daran hängenden Soldaten zeigt, erklärt sich im Kontext der Serie nicht wie häufig kolportiert als wahllose Ermordung gefangener Soldaten oder Zivilisten, sondern als brutale, aber – gemäß Callots Logik seiner Erzählung – notwendige Bestrafung der Marodeure. Angesichts ihrer mörderischen Taten erscheint diese Strafe als gerechtfertigte Vergeltung. Alles, was den Verurteilten noch bleibt, ist gegeneinander, um den Platz am Baum zu würfeln – ein düsteres und ironisches Ende für jene, die zuvor selbst Tod und Leid über andere gebracht hatten.

Bis zur Französischen Revolution und der Entstehung von Nationalstaaten mit ihren Massenarmeen entwickelte sich der militärische Konflikt zu einer Form von ritualisierten Kabinettskriegen, wohl auch als Reaktion auf die unkontrollierten Verwüstungen und Gräuel des Dreißigjährigen Krieges. Zwar waren die zahlreichen Kriege und Konflikte des 18. Jahrhunderts, wie auch in den Jahrhunderten zuvor, auch weiterhin durch blutige Schlachten und diplomatische Wechselspiele gekennzeichnet. Jedoch wurde nun verstärkt Wert auf die Unterscheidung zwischen Soldaten und Kombattanten gelegt. In ähnlicher Weise wie die Pest in vorherigen Jahrhunderten, wurde der stetige Kriegszustand zu einem endemischen Phänomen, wobei die Kämpfe idealerweise nicht die Ernte und somit die Fähigkeit zur Kriegsführung im folgenden Jahr beeinträchtigen sollten. Diese Entwicklung führte auch zu einer Veränderung in der Art und Weise, wie Kriege in der Kunst dargestellt wurden, der Krieg wurde in den bunten Uniformen – den Sterbekitteln Friedrichs d. Gr. - der stehenden Heere der Zeit eingehegt.

Fontenoy, 1745: Die Französische und Britische Garde laden sich gegenseitig ein, zuerst zu schießen. McKinnon, 1883

Diese Kunstwerke der Zeit betonten die Ehre, den Ruhm und die Tapferkeit der Armeen und insbesondere ihrer Anführer, während sie die Brutalität und das Leid des Krieges and Randbemerkung herunterspielten oder ganz ausblendeten. Es war eine Zeit, in der die aristokratischen Kriegsführer mitunter einen - aus heutiger Sicht – absurd anmutenden Wert auf Etikette und Höflichkeit legten. Seinen Höhepunkt mag dies in der Schlacht von Fontenoy am 11. Mai 1745 gefunden haben, als das britische Grenadierregiment der französischen Garde gegenüberstehend, den Franzosen die Ehre des ersten Schusses anbot. Die Franzosen erwiderten höflich, dass die Engländer beginnen sollten. Die Schlacht von Fontenoy war ein Teil des Österreichischen Erbfolgekrieges, einer der Europäischen Erbfolgekriege, und endete mit einem Sieg der Franzosen, wenngleich nach einer der blutigsten Schlachten der Epoche.

Der unbeholfene Versuch, eine Art Kriegsmanufaktur zu schaffen, die parallel zur zivilen Gesellschaft funktionieren sollte, verlor sich in der Französischen Revolution und der Wucht der darauffolgenden napoleonischen Kriege. Konflikte betrafen nun die Nation und somit die Gesellschaft als Ganzes, wurden gleichsam auf individueller Ebene persönlich. Das revolutionäre Frankreich erfand den Volkskrieg gegen das aristokratische Europa, und Spanien entwickelte in der Folge den Guerillakrieg gegen das napoleonische Frankreich.

Parallel zur Mobilisierung der Nation wuchs auch die Notwendigkeit, eine identitätsstiftende ideologische Führung sowohl für die ausgehobenen Massenheere als auch für die Zivilbevölkerung zu etablieren. Es ging nun nicht mehr nur darum, für die Interessen des Adels zu kämpfen, sondern für die Nation und die Verteidigung des Vaterlandes. Dafür musste der Feind als unmenschlich markiert und seine Gräueltaten dokumentiert werden. Dabei entspricht es der besonderen Logik des "Volkskrieges", und hier insbesondere der Guerillakriegsführung, dass diese wiederum die sie antreibenden Gräueltaten selbst hervorbringt.

Die eindrucksvollen Darstellungen menschlicher Grausamkeit und Narrheit in den Werken von Jacques Callot beeinflussten fast zwei Jahrhunderte später Francisco de Goya und seine Serie „Los desastres de la guerra“ (Die Schrecken des Krieges). Entstanden zwischen 1810 und 1820 entstand, illustriert die Schrecken des napoleonischen Kriegszuges in Spanien und des anschließenden Guerillakrieges. Diese Grafiken, insgesamt 82 an der Zahl, wurden jedoch erst lange nach Goyas Tod, im Jahr 1863, veröffentlicht.

Die Erschießung der Aufständischen, Francisco de Goya, 1814 Museo del Prado, Madrid

Eines der bekanntesten Gemälde Goyas jedoch ist „Die Erschießung der Aufständischen“ (auch bekannt als „Die Erschießung des 3. Mai 1808“), das 1814 entstand. Dieses Gemälde zeigt die Erschießung spanischer Aufständischer durch napoleonische Truppen und ist ein kraftvolles, emotional aufgeladenes Werk, das den Schrecken des Krieges und den Kampf um Freiheit thematisiert. Es gilt als eines der bedeutendsten Werke Goyas und als eines der ersten wie auch eindringlichsten Anti-Kriegsbilder der Kunstgeschichte.

Die Französische Revolution und das Zeitalter Napoleons markierten nicht nur einen Wendepunkt in der politischen Geschichte, sondern auch die frühe Blüte der politischen Karikatur, begünstigt durch Fortschritte im Buchdruck. In einer Ära, in der der Zugang zu Informationen und die Meinungsfreiheit eingeschränkt waren, bot die Karikatur eine Möglichkeit, politische Botschaften zu verbreiten und Debatten anzuregen. Gleichzeitig brachte auch eine neue Form der – offiziell gewünschten - politischen Kommunikation hervor, bei der Karikaturen und die bewusst bösartige Verzerrung historischer Ereignisse als Mittel zur politischen Einflussnahme und Massenbeeinflussung genutzt wurden. Beispiele hierfür sind die britischen Karikaturen Napoleons aus dieser Epoche, die üblicherweise in übertriebener Weise darstellen. Häufige Motive waren die Darstellung Napoleons als zwergenhafter Tyrann, als aggressiver Eroberer oder in kompromittierenden Situationen.

Das blutige Massaker, ein Stich von Paul Revere aus dem Jahr 1770

Ein anderes Beispiel für eine politisch besonders einflussreiche und letztlich bis heute nachwirkende propagandistisch verzerrte Karikatur ist die seinerzeit in den Kolonien weit verbreitete Darstellung des Bostoner Massakers kurz vor Beginn des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges. Spät am Nachmittag des 5. März 1770 eröffneten britische Wachposten, die das Zollhaus von Boston bewachten, das Feuer auf eine Menschenmenge, wobei drei Männer getötet und acht verletzt wurden, von denen zwei später ihren Verletzungen erlagen. Die Grafiken verbreiteten das Bild eines ansatzlosen Massakers, in dem ein Zug britischer Infanterie in harmlose Flaneure feuert. Tatsächlich wurden die Soldaten bedroht und angegriffen, letztlich verlor die kleine Gruppe von Soldaten die Kontrolle, als einer von ihnen getroffen wurde. Die Soldaten schossen trotz ausdrücklicher gegenteiliger Befehle. Diese irreführenden Darstellungen in Form von Karikaturen wurden genutzt, um eine bereits aufgeheizte anti-britische politische Stimmung weiter anzuheizen.

Diese Bilder dienten nicht mehr nur dazu, den politischen, konfessionellen oder militärischen Gegner einfach nur negativ darzustellen, sondern zunehmend auch zur Entmenschlichung der Feindfigur. Dadurch wurden diese als Gegner markiert, die es in der Folge mit allen Mitteln auszuschalten galt - und sich der Zweck folgerichtig den Mitteln unterzuordnen hatte.

Ende des 1. Teils - mit dem Zeitalter der Aufklärung geht in wenigen Tagen weiter.
Quellen: Keine, Schulbuch- und eigenes Wissen.

 
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