Immer wieder Sontag

Jeder, der sich intensiv mit Fotografie beschäftigt, muss irgendwann durch Susan Sontags 'Über Fotografie' - und sei es früh im Studium. Für ein Stück Pflichtlektüre ist es ist auch heute noch eine durchaus faszinierend gute Lektüre.

In den späten 1970er Jahren, einer Ära geprägt von aufstrebender visueller Kultur und wachsendem Medieneinfluss, erschien Susan Sontags „Über Fotografie". Dieses Buch, eher eine Sammlung tiefgründiger Essays als ein einfacher Leitfaden, öffnete neue Perspektiven auf die Fotografie – eine Kunstform, die seit ihrer offiziellen Erfindung 1839 stets vielfältig diskutiert und analysiert worden war. Sontags Beiträge zu dieser Diskussion waren somit keineswegs die ersten ihrer Art, sondern eine Erweiterung und mitunter sprachlich elegante Vertiefung des bereits bestehenden Dialogs über die Rolle und den Einfluss der Fotografie in der modernen Gesellschaft.

Susan Sontag, geboren im Jahr 1933, war eine amerikanische Schriftstellerin, Philosophin und politische Aktivistin, bekannt für ihre scharfsinnigen Analysen zu Kultur und Medien. Ihr Eintritt in die Welt der Fotografie war geprägt von einer kritischen und oft provokativen Sichtweise. In "Über Fotografie" untersucht sie die Fotografie nicht nur als künstlerisches Medium, sondern auch als Instrument der Wahrnehmung und der Macht.

"Über Fotografie", veröffentlicht 1977, ist eine Sammlung von sechs Essays, in denen Susan Sontag sich eingehend mit der Natur, der Geschichte und der Rolle der Fotografie in der modernen Gesellschaft auseinandersetzt. Das Buch beginnt mit dem Essay "In Platons Höhle", in dem Sontag die Idee einführt, dass Fotografien unsere Wahrnehmung der Welt beeinflussen und formen. Sie vergleicht das Fotografieren mit dem Sammeln der Welt und argumentiert, dass Fotos sowohl die Realität festhalten als auch interpretieren.

Im zweiten Essay, "Amerikas gesehene Landschaften", untersucht Sontag den Einfluss der Fotografie auf die amerikanische Kultur und Identität. Sie betrachtet, wie Fotografien als Mittel zur Dokumentation, aber auch als Instrumente der Macht und Manipulation dienen.

"Melancholische Objekte" ist der dritte Essay, in dem Sontag sich auf die surrealistische Fotografie konzentriert. Sie diskutiert, wie Surrealisten Fotografien verwendet haben, um die alltägliche Realität zu verfremden und zu hinterfragen.

Der vierte Essay, "Heldentum des Sehens", behandelt die Rolle des Fotografen als Künstler und Chronist. Sontag hinterfragt hier die Ethik des Fotografierens, insbesondere in Bezug auf das Leid anderer Menschen.

In "Fotografische Evangelien" geht Sontag auf verschiedene fotografische Stile und Bewegungen ein. Sie analysiert, wie unterschiedliche Ansätze in der Fotografie verschiedene Arten von "Wahrheiten" über die Welt darstellen.

Das Buch schließt mit "Die Bildwelt", einem Essay, der sich mit der Übersättigung durch Bilder in der modernen Medienlandschaft befasst. Sontag argumentiert, dass die ständige Flut an Bildern unsere Fähigkeit zur Empathie und zum Verständnis der Realität beeinträchtigt.

Sontags Essays bieten eine facettenreiche Betrachtung der Fotografie, die über technische oder ästhetische Aspekte hinausgeht. Sie taucht in die Philosophie und Ethik der Bildproduktion ein und hinterfragt die Beziehung zwischen Fotografen, Subjekt und Betrachter. Diese Herangehensweise, die sowohl intellektuell anspruchsvoll als auch tiefgründig ist, faszinierte nicht nur die zeitgenössischen Leser, sondern prägte auch nachhaltig die akademische Auseinandersetzung mit der Fotografie.

Besonders bemerkenswert ist, wie Sontags Auswahl spezifischer Fotografen und ihrer Arbeiten die Lehrpläne zahlreicher Fotografie Kurse beeinflusst hat. Ihre Betrachtungen über die Macht der Bilder, ihre Rolle in der Gesellschaft und die ethischen Fragen, die sie aufwerfen, haben viele Lehrende inspiriert, ihren Unterricht, um diese tiefgründigen Konzepte zu erweitern.

Die Auswirkungen von Sontags Überlegungen somit notwendigerweise auch heute noch spürbar, Sie hat mit Ihrem Klassiker einen fotografischen Kanon als Richtschnur in Forschung und Lehre vorgegeben. In einer Zeit, in der Bilder allgegenwärtig sind und die digitale Fotografie die Art und Weise, wie wir die Welt sehen und erleben, revolutioniert hat, erscheinen ihre Beobachtungen relevanter denn je. Sie hat eine Generation von Fotografen und Denkern mitgeprägt, die die Fotografie nicht nur als eine Sammlung von Bildern, sondern als ein kraftvolles Medium zur Übermittlung von Ideen und Geschichten verstehen.

Sontags Einfluss zeigt sich nicht nur in der Art, wie Fotografie gelehrt und studiert wird, sondern auch in der Art und Weise, wie sie kritisch betrachtet wird. Ihre Essays fordern dazu auf, die Hintergründe eines Bildes zu hinterfragen, den Kontext zu verstehen und die Auswirkungen der Fotografie auf unsere Wahrnehmung der Realität zu erkennen.

Und auch wenn wir uns heute mit Smartphone- ebenso wie synthetischer Fotografie umgeben, bleibt Sontags Herausforderung an uns bestehen: nicht nur zu sehen, sondern zu beobachten; nicht nur zu akzeptieren, sondern zu hinterfragen. Und auch wenn man nicht mit jedem ihrer Ideen oder Schlüsse übereinstimmen muss, ist ihr Vermächtnis ein ständiger Dialog über die Macht der Bilder und ihre Rolle in unserem Leben. Es ist ein Dialog, der in jedem Fotografiestudium, in jeder Bildanalyse und in jedem Schnappschuss, der unsere Aufmerksamkeit erregt, weiterlebt.

Sontag starb am 28. Dezember 2004 im Alter von 71 Jahren in New York City an den Folgen eines myelodysplastischen Syndroms, das sich zu einer akuten myeloischen Leukämie entwickelt hatte.

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Polen, 1941. Israel, 2023.