Von Genua zum Kulturkampf – Die lange Reise der Jeans

Das momentane Geschnatter in der Causa American Eagle ist ebenso bemerkenswert wie belustigend – letztlich müssten jene, die dem amerikanischen Bekleidungshersteller alle möglichen niedrigen bis niedrigsten Beweggründe unterstellen, die Jeans generell in ihrer eigenen, mitunter recht verqueren Logik als kulturelle Aneignung ablehnen. Denn die Geschichte der Jeans beginnt weit vor ihrer Ikonisierung als amerikanisches Kleidungsstück. Ihre Ursprünge liegen im 16. und 17. Jahrhundert an zwei Orten Europas: im italienischen Genua und im französischen Nîmes, wohl zunächst als Kleidung von Galeeren-Ruderern.

Der „Meister der Blue Jeans“, ein heute unbekannter Genremaler, Darstellung einfacher Genueser, ca. 1670.

In Genua fertigte man einen robusten Baumwoll-Leinen-Stoff, in Frankreich Gênes genannt – vermutlich der Ursprung des Wortes „jeans“. Dieser Stoff, ein mittelfester Fustian, ähnelte Kordsamt, war erschwinglich und hielt dem Alltag einfacher Leute stand. Er fand Verwendung in Arbeitskleidung und in den Uniformen der genuesischen Marine, die einen Stoff brauchte, der sowohl im nassen als auch im trockenen Zustand tragbar war. Spätestens im Jahr 1576 gelangten sogenannte „jean fustians“, Mischgewebe aus Baumwolle und Leinen, über englische Hafenstädte wie Barnstaple auf die britischen Inseln. Diese Stoffe wurden dort zu Arbeits- und Alltagskleidung verarbeitet und bildeten eine wichtige Handelsware im Textilmarkt des 16. Jahrhunderts.

In Nîmes versuchten Weber im 17. Jahrhundert, den genuesischen Baumwollstoff zu imitieren, entwickelten dabei jedoch ein dichteres Köpergewebe, das als serge de Nîmes bekannt wurde – der Ursprung des heute genutzten Qualitätsmerkmals „Denim“. Während der genuesische Stoff als eher grob galt, wurde serge de Nîmes wegen seiner Festigkeit und Qualität geschätzt und bevorzugt für Arbeitskleidung wie Kittel und Overalls verwendet.

Das für die charakteristische indigoblaue Färbung des Denims verwendete Indigo stammte bis ins späte 19. Jahrhundert nahezu ausschließlich aus Indien, das als Hauptlieferant im globalen Handel dominierte. Erst mit der Entwicklung synthetischer Färbeverfahren durch deutsche Chemiker, allen voran Adolf von Baeyer im Jahr 1878, wurde Indigo industriell künstlich hergestellt, was die Verfügbarkeit und Konsistenz des Farbstoffs entscheidend verbesserte.

Im 17. Jahrhundert taucht der Stoff auch in der Malerei auf: Der „Meister der Blue Jeans“ hielt in Genrebildern einfache Leute in blauen Arbeitskleidern fest – ein visueller Beleg für die frühe Rolle und Verbreitung des Stoffes in der Alltagskultur.

Filmplakat, Rebel Without a Cause, 1955

Der Sprung in die USA kam Mitte des 19. Jahrhunderts: 1853 zog der fränkische Einwanderer Levi Strauss nach San Francisco und belieferte Arbeiter mit robusten Hosen, zunächst aus Segeltuch, später aus Denim. 1873 erhielt er gemeinsam mit dem Schneider Jacob Davis ein Patent auf Hosen mit kupfernen Nieten an den Belastungspunkten. Aus Arbeitskleidung für Goldgräber und Farmer wurde ein langlebiges Standardstück des amerikanischen Westens.

Bis in die 1940er Jahre sprach man noch von „waist overalls“, da die Arbeitshosen häufig als Latzhosen gefertigt wurden. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg begann der kulturelle Rollenwechsel: Die Amerikaner brachten die Hose zunächst im Gepäck ihrer Truppen zurück nach Europa, die Firma L. Hermann Kleiderfabrik in Künzelsau – später Mustang Jeans – fertigte schon 1948 die ersten Jeans im Nachkriegsdeutschland. James Dean machte die Jeans in Rebel Without a Cause (1955) zum Symbol jugendlicher Auflehnung, Gleiches gilt für Marlon Brando in Die Faust im Gesicht (Originaltitel: The Wild One, 1953), der noch vor Deans „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ entstand, aber wegen Deans tragischem Schicksal in Deutschland weniger präsent ist.

Noch vor dem Krieg brachte Levi’s 1934 mit den „Lady Levi’s“ die erste gezielt für Frauen entworfene Jeans und bewarb sie in Printanzeigen – zunächst als Arbeits- und Freizeitkleidung, in Deutschland ab 1953 als Campinghose mit seitlich angesetztem Reißverschluss. In den 1960ern rückten Marken wie Wrangler die Jugendkultur verstärkt auch werblich in den Mittelpunkt. In den 1970ern brachte Calvin Klein als erster Designer Jeans auf den Laufsteg (1973) und holte sie ab Ende der Dekade mit provokativen Kampagnen – allen voran Brooke Shields’ „Nothing comes between me and my Calvins“ – endgültig in die High Fashion.

Brooke Shields für Calvin Klein Jeans, fotografiert von Richard Avedon 1980.

Die 1980er brachten Werbeklassiker wie die Levi’s-501 Laundrette-Kampagne (1985), in der ein Waschsalon zum Bühnenbild einer filmreifen Verführungsszene wurde. In den 1990ern inszenierten Marken wie Guess oder Versace Jeans als Glamour-Objekt mit Models wie Claudia Schiffer und Anna Nicole Smith. Provokative Ansätze hatten stets Tradition: Schon 1971 sorgte die italienische Marke Jesus Jeans mit dem Slogan „You shall have no other jeans before me“ für Kontroversen.

Parallel dazu festigte die Modefotografie den Mythos. Helmut Newton inszenierte ihre rohe Sinnlichkeit, Bruce Weber den sonnigen Freiheitsgeist – beide gaben der Jeans visuell jenen subversiven Glanz, den Werbekampagnen kommerziell nutzten. Eine besondere, politisch aufgeladene Symbolkraft entfaltete die Jeans in den Staaten der sozialistischen Mangelwirtschaft. Dort galt sie offiziell als Zeichen westlicher Dekadenz, wurde aber gleichzeitig zum begehrten Objekt, das Individualität, Freiheit und nonkonformes Lebensgefühl ausdrückte. In Polen etwa waren westliche Jeans Teil einer subkulturellen Jugendmode, die den offiziellen Kleidungsnormen trotzen wollte; in der Sowjetunion entwickelte sich schon in den späten 1950er Jahren ein regelrechtes „Jeansfieber“, das Schwarzmarktpreise in die Höhe trieb. In der DDR wurden Originaljeans in Intershops zu Preisen verkauft, die einem Monatslohn entsprechen konnten, während jüngere Trägerinnen und Träger ihre Hosen bewusst abtrugen, um sich vom staatlich verordneten Erscheinungsbild abzusetzen. Erst spät begann die Versorgung mit Jeans aus eigener Produktion (offiziell als Niethosen bezeichnet), die jedoch mitunter minderer Qualität und Materialstärke waren.

Sydney Sweeney für American Eagle Outfitters Inc., Copyright American Eagle Outfitters Inc. 2025.

Es bleibt die reizvolle Vorstellung: Das Kleidungsstück, das heute als Inbegriff amerikanischer Jugendkultur, Rebellion und High-Fashion-Inszenierung gilt, wurde schon im 17. Jahrhundert von Matrosen, Ruderern und Hafenarbeitern in Genua getragen. Die überlieferten Bilder wirken auf uns gerade heute surreal, wie das Ergebnis einer geschichtsvergessenen KI. Ihren Streitwert hat sich die Jeans bis heute erhalten. Ob Calvin Klein mit Brooke Shields in den 80ern oder Sydney Sweeney in der viralen American-Eagle-Kampagne – die Jeans bleibt gleichzeitig nostalgisch und zeitgemäß. Kleidung der Armen in Genua, Produkt von Industriespionage in Frankreich, Ikone eines fränkischen Auswanderers in den USA, Symbol von Rebellion, Westsehnsucht, Sexualität und Freiheit. Rebellion und Kommerz zugleich – die Jeans ist praktisch Zen. Welches andere Kleidungsstück kann das von sich behaupten?

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