Dies ist nicht das Ende von Woke

Sydney Sweeney für American Eagle Outfitters Inc., Copyright American Eagle Outfitters Inc. 2025.

Kommende Generationen könnten sich auf die American-Eagle-Kampagne mit Sydney Sweeney als das Ende der Wokeness berufen – und dies, je nach Lager, entweder als Fanal des Untergangs deuten oder als Signal zum Aufbruch in eine Zeit, die nicht länger von Denk- und Kommunikationsverboten geprägt ist: ein Zeitalter der Neo-Aufklärung nach fast zwei Jahrzehnten sich rasant verschärfender jakobinischer Edikte.

Brooke Shields für Calvin Klein Jeans, fotografiert von Richard Avedon 1980.

Das mag – als weithin sichtbares Signalfeuer, das durch die aufgeflammte Debatte nur noch heller lodert – durchaus zutreffen. Zumal sich die Kollegen im Marketing von American Eagle gleich vollumfänglich von der heiligen Trifecta des woke-Katechismus verabschiedet haben. Die Kampagne zeigt nicht nur eine – auch nach klassisch-griechischen Maßstäben, Aristoteles und seine Lehre von der Symmetrie lassen grüßen – attraktive Schauspielerin und Fotomodel: Die Clips und Fotografien präsentieren Frau Sweeney zudem in einer für Fashionfotografie ungewöhnlich zugänglichen, fast ausgelassenen Inszenierung.

Anders als die von Richard Avedon zur entrückten Heiligen stilisierte Brooke Shields für Calvin Klein ist Sweeney keine kokettierende Kindsfrau, sondern eine sich ihrer selbst wie auch ihrer Gene sehr bewusste junge Dame.

Copyright American Eagle Outfitters Inc. 2025

Und – um der Blasphemie von American Eagle die Krone aufzusetzen – beugt sie sich unter die Haube eines Muscle Cars, zieht eine letzte Schraube fest, klatscht sich – mit überraschend sauberen Händen – selbst auf den Hintern und jagt, Donuts drehend, entfesselt vom Set. Der Burnout allein verpulvert das CO₂-Kontingent eines idealen, stromlinienförmigen Musterbürgers für eine ganze Woche – und setzt so gleich eine ganze Reihe von Ausrufezeichen hinter die Kampagne.

Werbung war – da sie dem Zwang des Verkaufens unterliegt – stets ein recht zuverlässiger Seismograf des Zeitgeists. Dass sich dieser dreht, ließ sich in den letzten Jahren bereits ablesen: verklausuliert, vorsichtig, nie so offen, fröhlich und gleichzeitig konfrontativ wie nun bei American Eagle.

Jacobs - Finde dein Wunderbar (TV Spot 2024), Copyright JACOBS DOUWE EGBERTS DE GmbH

So war beispielsweise ein namhafter deutscher Kaffeeröster – Jakobs Kaffee, schon historisch gesegnet mit üppigen Marktforschungsbudgets – einmal mehr ein guter Kanarienvogel in der dunklen Mine der Kommunikation. Hier zeigte sich früh eine, wenn auch behutsame, Rückkehr zu klassischen Familienwerten: Vielfalt blieb zwar vorhanden, rückte aber vom Zentrum der Erzählung auf dem heimischen Balkon an die Tanzfläche am Bildrand – Statistenrollen, keine Hauptrollen mehr.

Das waren erste, wenngleich äußerst zaghafte, Schritte weg von einer sich dem Zeitgeist anbiedernden Kommunikationsstrategie, deren Virtue Signaling sich nicht nur als unwirksam, sondern in vielen Fällen auch als geschäftsschädlich erwiesen hat.

Dylan Mulvaney für Bud Light, Copyright Anheuser-Busch Companies, LLC

Einige Marken – etwa Bud Light – haben sich davon bis heute nicht erholt. Gleiches gilt – wenn auch unter völlig anderen Vorzeichen – für Jaguar, die das Memo vom sich drehenden Zeitgeist buchstäblich nicht erhalten haben und mit offener Hose der falschen Kapelle hinterherliefen, nur um dann lang hinzuschlagen und sich kommunikativ eine blutige Nase zu holen. (Die oft kolportierten, dramatisch schlechten Absatzzahlen sind allerdings der Tatsache geschuldet, dass die Kampagne lediglich die Transformationsphase zu einem reinen Elektroanbieter überbrücken sollte; konventionelle Jaguars wurden bereits nicht mehr produziert.)

Angesichts der unbegrenzt online verfügbaren Überreste dieser – wie auch vieler anderer – gescheiterten Kampagnen ist nicht abzusehen, wann sich die von der Identity Politics gezeichneten Werbetreibenden davon erholen werden.

Übrigens: Auch die Hobbyfotografie hat sich im Takt der Bewegung gewandelt. Während sich die Auftragsfotografie mit emotionslosen Gesichtern und bärtigen Bikini-Ikonen kommunikativ entleibte, flüchtete sich die Hobbyfotografie in Schwarzweiß: Die Abwesenheit von Kleidung wurde mit der Abwesenheit von Farbe begründet; der Kunstbegriff der Monochromie diente als Schutzschild gegen den in Kampagnenform stets lauernden Rufmord – wie er etwa den einst als Nachfolger von Helmut Newton gehandelten, inzwischen komplett gecancelten Terry Richardson traf.

Dass sich der Wind zu drehen beginnt, zeigt sich auch in der Reaktion von American Eagle auf die von links-X hundertfach geäußerten, erwartbar schablonenhaften, meist albernen Vorwürfe. Das Unternehmen hat – anders als in vergleichbaren Fällen während der Hochphase der Identity Politics – nicht klein beigegeben, sondern die Verkaufserfolge sehr selbstbewusst gefeiert.

Das brachte die Kritiker zwar noch mehr in Rage, sorgte aber offenkundig für deutlich mehr zahlende Kunden.

Dieses neue Selbstbewusstsein – und der unverstellte Blick auf die Realitäten der Kommunikation mit einer von Fantasie und Verlangen getriebenen Spezies – hat rein gar nichts mit einem „Rückfall“ in „dunkle Zeiten“ oder mit reflexhaft zitiertem Sündenregister deutscher Medienkritik zu tun. Es ist schlicht die Folge davon, dass Werbung dem Zwang des Funktionierens unterliegt. Meistens jedenfalls.

Der Satz, dass der Köder dem Fisch schmecken muss, bleibt gültig. In den vergangenen Jahren jedoch haben sich Werbetreibende zunehmend zum Narren machen lassen – und Köder produziert, die weder dem Fisch noch dem Angler schmeckten. Sondern einzig dem Teichbesitzer.

Die Kampagne von American Eagle mit den guten Jeans der Frau Sweeney markiert sicher nicht das Ende von Woke in Werbung, Bewegtbild und Fotografie. Aber sie ist – um Churchill nach El Alamein zu zitieren – möglicherweise das Ende eines Anfangs von etwas Neuem, das sich den Realitäten, und damit auch unseren Stärken wie Schwächen, wieder bewusst wird und sich der gesamten Klaviatur menschlicher Kommunikation bedient – einschließlich des so wichtigen Stilmittels der Provokation.

Wir werden sehen, wie sich die Dinge entwickeln.

Now this is not the end. It is not even the beginning of the end. But it is, perhaps, the end of the beginning. (— Winston S. Churchill, Rede im Mansion House, London, 10. November 1942)

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