Wenn YouTube lügt: Zen oder die Kunst, eine Softbox aufzubauen

 

oder
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Der Schlüssel zum Erfolg: ein konventioneller Speedring

 

Fotografen und Taucher haben etwas gemeinsam: Je weniger Erfahrung sie haben, desto mehr wollen sie ihr frisch erworbenes Wissen teilen. An Bord von Tauchbooten haben alte Taucher häufig den Habitus – und auch den Umfang – behäbiger Walrösser. Tauchanfänger erinnern dagegen eher an eine Schule junger Robben, lautstark, sehr gesprächig und jederzeit missionierungswillig. Das Äquivalent des Tauchbootes als soziologische Petrischale ist für Fotografen wohl YouTube, ein Ort, an dem sich Enthusiasmus mit Monetarisierung paart und sich dementsprechend viele Experten vor geschmackvoll zweifarbig ausgeleuchteten Hintergründen tummeln. Die zahlreichen Nuancen und Zwischentöne der Fotografie macht sie zu einem perfekten Thema für geschwätziges Expertentum in sowohl Video und Schrift, und das gilt selbstverständlich auch für die Zeilen die Sie, lieber Leser, gerade lesen[1].

Ich erinnere mich mit drei Fernsehkanälen aufgewachsen zu sein, diese waren nicht nur monochrom, sondern auch nur auf die Abendstunden beschränkt. YouTube hat heute über 50 Millionen zu jeder Zeit und and jedem Ort erreichbare Kanäle[2], und von den demnächst 8 Milliarden Menschen auf diesem Planeten haben über 62% Zugriff auf das Internet[3]. Daraus ergibt sich naturgemäß eine harte Konkurrenz und es ist nicht einfach, sich als Kanalbetreiber Gehör zu verschaffen und eine treue Zuschauerschaft aufzubauen. Daher ist es umso bemerkenswerter, dass es auf YouTube trotzdem viele hochwertige und informative Kanäle gibt, die wertvolles Wissen vermitteln und dabei durchaus unterhaltsam sind. Gerade im Bereich der Fotografie jedoch scheint die Mehrheit der Inhalte auf der Plattform eher oberflächlich, banal und gelegentlich sogar haarsträubend oder schlichtweg falsch zu sein.

Die ist selbstverständlich kein auf die Neuzeit beschränktes Phänomen, denn seit ihrer Erfindung fasziniert die Fotografie und dies spiegelt sich auch der Flut der begleitenden Texte wider. Einer der ersten Texte zur Fotografie in Deutschland erschien bereits im Jahr 1839, kurz nachdem die Pariser Akademie der Wissenschaften das Verfahren öffentlich bekannt gemacht hatte. Die Autoren bemühten sich redlich, dem geneigten Leser zu beschreiben, worum es sich bei diesem neuen Hype der Fotografie eigentlich dreht, obwohl insbesondere der Verleger und Co-Autor Ludwig Schorn niemals einen fotografischen Apparat oder auch nur eine Fotografie gesehen hatte[4].

Und auch Susan Sontag oder Roland Barthes waren weder ausgebildete Fotografen, noch haben sie  in größerem Umfang - über das private hinaus - fotografiert. Dennoch sind ihre Bücher bis heute - oder gerade heute - Grundlage zahlreicher philosophischer Überlegungen zur Fotografie. Mit philosophischen Betrachtungen haben die meisten Fotografie-Tutorials online jedoch wenig am Hut, da geht es eher praktisch und zielorientiert zur Sache. Influencer zeigen sich vor üblicherweise in Komplementärfarben ausgeleuchteten Hintergrundregalen, die wiederum mit den üblichen magischen Requisiten (ein oder mehrere analoge Gehäuse, idealerweise Mittelformat, irgendwas leuchtendes und gelegentlich noch Musikinstrument als visuelle Referenz einer echten Künstlerseele) aufgewertet werden. Und wäre dies hier ein YouTube Video, es hätte einen weitaus verheißungsvolleren Titel, wie beispielsweise:

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Aus den bereits ausgeführten Gründen überrascht es nicht, dass viele YouTuber versuchen, ihre Zuschauerzahlen durch Clickbait zu erhöhen. In den Anfangsjahren der Erklärvideos zur Fotografie war der Produktionsaufwand höher und es gab nur wenige Anbieter, der mediale Durchbruch seinerzeit benötigte weder Übertreibung noch bedeutendes Fachwissen. Legendär einer der ersten deutschen Tutorial-Fotografen, dessen Ergebnisse im Grunde immer exakt gleich aussahen – unabhängig vom Episoden-Thema und der vorgestellten fotografischen Technik. Ganz gleich ob Bron oder Fensterlicht, das Ergebnis sah – wohl dank Photoshop – stets identisch aus, was aber der Popularität des Kanals selbstverständlich keinen Abbruch tat.

Auch scheinen die Inhalte auf YouTube mittlerweile immer simpler zu werden, wohl auch um in einer sich stetig verschärfenden Aufmerksamkeitsökonomie zu bestehen. Zu komplexen Studiosetups mit multiplen Blitzen hat es auch in den Online-Tutorials der Anfangszeit selten gereicht, es dominieren immer einfachere Rezepte für gleichförmige Aufnahmen in Endlosschleife. Ähnlich wie sich auch in den sozialen Medien die Inhalte von Facebook-Posts mit einst schon epischer Tiefe zu kurzen Stakkato-Videos auf TikTok reduziert haben – um auch diejenigen zu erreichen, deren Aufmerksamkeitsspanne sehr kurz ist, ähnlich der besonders nervöser Goldfische.[5] [6]

Allerdings bedarf  – um zumindest in der jüngeren Vergangenheit erfolgreich monetarisiert werden zu können – einer bestimmten Mindestfilmlänge auf YouTube.  Was wiederum die Filme unnötig verlängert da – wie auch in diesem Text – zunächst Spannung für eine einfache Lösung aufgebaut wird.  Die gezeigten Inhalte verbinden meist einen verheißungsvollen, vielversprechenden Titel mit einer auf ihre Art brutalen Banalität, garniert mit einem gehörigem Spritzer Eau de Ego. Die Informationen selbst sind üblicherweise nicht im eigentlichen Sinne falsch, nur bleibt der Erkenntnisgewinn in der Regel überschaubar, wenn sich überhaupt einer einstellt. Skeptisch bin ich immer dann, wenn der Präsenter sich mit den bereits beschriebenen magischen Insignien der Fotografie umgibt, oder die gezeigten Ergebnisse bereits fertig retuschiert sind - echte Erkenntnisse oder gar die Bildung einer eigenen Meinung anhand der gezeigten Beispiele ist so nicht wirklich möglich. So zeigt sich auch heute dass es sich über die Fotografie – wie schon 1839 – trefflich reden lässt; es lassen sich gestalterische Techniken wie auch die zugrundeliegenden Philosophien in noch die kleinsten Teile zerlegen, als mundgerechte Happen für eine an Informationsschnipsel gewöhnte Seherschaft. Daher tritt selten die bewusste Falschinformation offen zu Tage, der Irrtum offenkundig und auch für Laien erkennbar. In der Fotografie gibt es keine absolut dauerhaft gültigen Erfolgsrezepte, entsprechend geschwätzig die Kanäle. Spannend wird es immer dann wenn es konkreter wird, dann lässt sich das Unvermögen oder mindestens die Unkenntnis des ein oder anderen Experten [7] mitunter gut erkennen. Eine Möglichkeit hierfür wäre die Softbox [8] und insbesondere deren Montage. Dies kann als eine Art unterhaltsamer Lackmusstest betrachtet werden, sozusagen die Salami-Pizza[9] der Erklärungsvideos.

Ganz im Stil der YouTube Profis möchte ich jedoch an dieser Stelle kurz innehalten und die Spannung hinsichtlich des professionellen Aufbaus von Softboxen, lieber Leser, ins schier unermessliche zu Treiben. Daher, vergessen Sie alles, was Sie über die Montage von Softboxen wussten, mein nun folgendes Tutorial bringt Sie in eine andere Dimension des Erfolgs, die Modelle werden Ihnen zu Füssen liegen und selbst namhafte Großkunden werden Ihnen eben diese küssen – unabhängig von der möglichen olfaktorischen oder gar sensorischen Herausforderung! Bleiben Sie also unbedingt dabei, jetzt weiterlesen!

Sicher, die meisten YouTube Experten meiden die klassische Softbox mit konventionellem Speedring wie der Student[10] die Montagsvorlesung. Das hat sowohl etwas mit dem allgegenwärtigen Sponsoring zu tun, darüber hinaus läuft der Aufbau einer konventionell konstruierten 5ft[11] Okta bei Lehrbuchmäßiger Montage immer auf einen visuell wenig eindrucksvolles ringen mit einem unförmigen Unterrock in Silber hinaus, wer will sich dabei schon für die Nachwelt dokumentieren lassen. Die Ausnahmen, die ich gefunden habe, adressieren üblicherweise den fotografischen Nachwuchs, und es dürfte an dieser Stelle niemanden mehr überraschen das die entsprechenden Kanäle ihrerseits vom Nachwuchs betrieben werden. In den Filmchen werden „jahrelang“ verwendete, aber gleichwohl brandneue Lichtformer mit erheblichem Gewürge und vielen guten Ratschlägen aufgebaut, und jeder Zuschauer, der in der Folge nicht doch zu einer Box mit Mechanik tendiert, hat entweder zu viel Zeit oder zu wenig Budget.

Das Punkt jedoch ist: beinahe jede Box mit konventionellem Speedring lässt sich genauso schnell aufbauen wie eine mit aufwendiger Mechanik, oder gar ein simpler Schirm. Das wird nur nie in den üblichen Kanälen gezeigt, eben weil – ebenso wie die Jungtaucher in der Einleitung – junge Influencer selten wirklich überzeugende Kenntnisse haben. Sobald die Box aufgeschlagen auf dem Boden liegt und der Präsenter sprichwörtlich in die Eingeweide der Box krabbelt, ist das Ergebnis fast zwangsläufig eine peinliche 10-minütige und mitunter sehr frustrierende Bastelarbeit, mit dramatisch erhöhter Wahrscheinlichkeit auf ein wenig erbauliches Bauarbeiter[12]-Dekolleté[13]. Jeder Assistent oder Gaffer, der sich einen ähnlich experimentellen Zeltbau auf dem Set erlaubt[14], hat bei der nächsten Produktion wahrscheinlich den Rest seiner Karriere frei. Der Trick besteht darin, die Box nicht auszulegen, sondern die noch gefaltete Box mit dem Speedring zu verbinden, indem man stehend – nicht kniend – die richtigen Enden (das sind üblicherweise die dickeren) schlicht der Reihe nach steckt. Dazu greift man von hinten auf die Stäbe zu, sobald die Hälfte gesteckt sind wird eben diese Stäbe unter Spannung gesetzt indem sie auf den Boden (o.ä.) gedrückt werden. Das erleichtert das Stecken der dann noch verbleibenden Stäbe. Dieser Prozess dauert nur wenige Sekunden und lässt sich auf alle konventionellen Softboxen anwenden, die eine Zugangsöffnung am Speedring haben. Beide Diffusionstücher sind bei dieser Vorgehensweise bereits montiert, dies ist beispielsweise bei preiswerten Systemen mit zentraler Schirmmechanik nicht möglich.

Ein konventioneller Speedring von der Lichtseite. Montiert wird mit Sicht auf die andere Seite.

Voraussetzung dafür ist selbstverständlich das die Stäbe bereits richtig in der Box positioniert sind. Dies hat aber nur einmalig zu geschehen da diese dort verbleiben können, auch nach der Demontage werden die Stäbe nicht mehr der von Box getrennt, ebenso die beiden Diffusionstücher. Der Abbau erfolgt nach dem gleichen Prinzip, die Box wird von hinten durch Wartungsöffnungen zerlegt, das Lösen des ersten Stabes wird durch Druck auf die gegenüberliegenden Stäbe erleichtert. Die Demontage ist auch hier dann nur eine Sache von wenigen Augenblicken.

Gibt es Nachteile? Ja, selbstverständlich. Die Bereitschaftstaschen einiger Hersteller sind derart knapp bemessen das sich die Box mit montierten Stäben nur schwer, mit gleichzeitig eingelegten Tüchern mitunter gar nicht verpacken lässt. Ebenso ist diese Technik nur bei Softboxen möglich, die am Speedring über eine Wartungsöffnung verfügen. Die preiswerten Elinchrom Portalites beispielsweise lassen sich nur konventionell aufbauen, also von innen und dann den jeweils gegenüberliegenden Stab einspannen.

Dessen ungeachtet können Online-Experten hilfreich sein, manchmal erkennt man diese an einer gewissen optischen Nachlässigkeit, wie beispielsweise Andrew Lock, der seine fachkundige Gaffer-Expertise vor seinem Garagentor abspult, ganz ohne visuelle Effekte[15] oder Gitarren im Hintergrund. Oder Bron USA, in deren nur mäßig frequentiertem Video zum Thema Softbox die soeben beschriebenen Montageweise etwa bei Minute 5 [16]gut erkennbar ist.

Online-Experten sind daher stets mit einer gewissen Skepsis zu konsultieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn Fotografie-Tipps versprochen werden, jedoch Photoshop-Ergebnisse gezeigt werden. Diese sind von der fotografischen Realität ebenso weit entfernt wie die mitunter realistische anmutende Synthetik aus Midjourney.

Zum Abschluss noch und ohne jedes weitere Zögern[17] ein Hinweis unseres heutigen Sponsors, ShinyGlitzyPhoto:

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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, ich hoffe das auch Sie in Zukunft nicht mehr als 15 Sekunden für den Aufbau auch einen großen Okta benötigen und Ihnen nun das Tor zum fotografischen Erfolg sperrangelweit offensteht. Auch hoffe ich die Methode einigermaßen verständlich beschrieben zu haben, sollte es hier hapern lassen Sie es mich bitte wissen. Ich werde dann ein entsprechendes Erklärvideo produzieren, nachdem die notwendige Deko für den Hintergrund eingetroffen ist. Und sollten Sie Ihrerseits auf besonders merkwürdige oder amüsante fotografische Weisheiten auf YouTube stoßen, lassen Sie es mich doch bitte wissen.




[1] Οἶδα οὐκ εἰδώς. (Oida ouk eidōs.) - "Ich weiß, dass ich nichts weiß.“, Sokrates 469/470 v. Chr - 399 v. Chr.

[2] Statista 2022

[3] Ebd.

[4] „Der Daguerreotyp“, Ludwig Schorn (Herausgeber, Co-Autor), Eduard Kolloff (Korrespondent), in der dem „Morgenblatt für gebildete Stände“ beigelegtem „Kunstblatt“, 1839

[5] Eine Studie aus dem Jahr 2016 untersuchte die Aufmerksamkeitsspanne von verschiedenen Tieren und fand heraus, dass Goldfische die kürzeste Aufmerksamkeitsspanne unter den getesteten Tieren hatten, die nur etwa 9 Sekunden betrug. Ich zweifle dies an, offenbar wurden seinerzeit keine Katzen untersucht.

[6] In einem Piranha Becken.

[7] Jedweden Geschlechts.

[8] Jedweder Form.

[9] Jeder weiß, dass man die Qualität eines überteuerten Szene-Italieners am besten an der Salamipizza messen kann.

[10] In diesem Fall keinesfalls der/die/, dass „Studierende“, da ebensolches vermeidend.

[11] 150 cm.

[12] Fotografen

[13] m/w/d.

[14] Sofern es den Platz dafür findet.

[15] Gaffer & Gear: https://www.youtube.com/@gaffergear/featured

[16] Broncolor USA: https://www.youtube.com/watch?v=OVdQ4nSmBK0&ab_channel=BroncolorUSA

[17] Eine häufige YouTube Phrase: „… without further ado… “.

 
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