Neues Projekt - Freiheit 80

Falls Du zwischen 1982 und 1986 16 geworden bist und Dir kryptische Kürzel wie MT, DT, MB, RD, LC, MTX, MBX, Cobra, Ultra oder gar KS noch geläufig sind, würde ich mich freuen, von dir zu hören: Als Masterprojekt möchte ich eine Fotoserie von den unzweifelhaft perfekt gereiften Gesichtern der letzten mobilen Generation erstellen, jenen, denen bereits mit 16 ganz Europa mit der Gashand greifbar war - vom Nordkap bis Sizilien, von Portugal bis zur Zonengrenze.

Frühjahr 1984

"Früher war alles besser" - ein Ausdruck, den wir alle schon einmal gehört haben. Oft wird er von älteren Menschen verwendet, um zu betonen, wie viel besser und einfacher das Leben früher war. Aber war es das wirklich? Oder ist es nur unser Hang zur Nostalgie, die uns glauben lässt, dass alles in der Vergangenheit besser war? Und ist man alt, wenn man beginnt an oft betonten Vorzügen der Gegenwart zu zweifeln? Und warum muss ich immer lachen, wenn ich eTretoller oder Familienrikschas sehe?

Wer das aktuelle Zeitgeschehen wie auch die technologische und kulturelle Entwicklung verfolgt, beginnt sich irgendwann Fragen zu stellen. Mir jedenfalls drängt sich mitunter das Gefühl auf, dass wir möglicherweise unseren zivilisatorischen Höhepunkt überschritten haben. Das kann sentimentale Gründe haben, gewiss. Vieles ist bequemer und einfacher geworden, und bis vor wenigen Jahren war eine Fernreise oder ein Buch mit kontroversen Inhalten ebenso gewöhnlich wie von keinerlei öffentlichem Interesse. Die Bonner Republik war selbstbewusst, gleichwohl ebenso muffig wie die zeitgenössischen begehbaren einheitsgelben Mobiltelefone. Moralische Handreichungen der Zeit beschränkten sich auf den allgegenwärtigen Hinweis, sich am Telefon doch gefälligst kurz zu fassen. Medial war Madonna eine sich betörend räkelnde Jungfrau, politisch waren die Grünen eine zwar lautstarke, aber ebenso bizarre wie mitunter olfaktorisch aufdringliche politische Randnotiz. Der Rest der Jugend (West) roch stattdessen nach Lagerfeld, Haarspray - und Bel-Ray Zweitaktöl.

DT80LC. Die Leichtkrafträder dieser Zeit wurden mit hochwertigem Bordwerkzeug aus Gummi-Vanadium ausgeliefert.

Erwachsen werden war “früher” häufig mit eigener – und damit auch im Wortsinne individueller – Mobilität verbunden, vor allem auf dem Land oder in der Peripherie der Ballungszentren Westdeutschlands. Dem Wirtschaftswunder ging zwar langsam die industrielle Basis aus, aber eines seiner Insignien – das Moped – war zu diesem Zeitpunkt weder Umweltdogmen noch einem übermäßigem Sicherheitskatechismus zum Opfer gefallen. Anfang der 80er wurde mit dem Leichtkraftrad eine neue Fahrzeugklasse in Westdeutschland eingeführt, ein merkwürdiger Kompromiss aus wirtschaftspolitischem Protektionismus und technischen Beschränkungen, aber eine Offenbarung, was Leistung und Geschwindigkeit anging.

Als Folge der zunächst sehr überschaubaren Kosten dieser neuen Fahrzeugklasse explodierte der Markt, es wurden in den Folgejahren mehr LKR als Motorräder zugelassen. Wir waren viele, auf der Straße traten die “80er” gewöhnlich mindestens in Rotte(n), im Schwarm oder gleich in stadteilübergreifenden Großverbänden auf. Die Neue Deutsche Welle kam in den früher 80er Jahren als knatternder Zweitakter daher, auf nassen Adidas Tennis Spezial Sneakern, in Kettenspray eingelegt. Mit dem eigenen Krad erweiterte sich der individuelle Wahrnehmungshorizont, die Distanzen schrumpften, der Blick schweifte schnell in der Ferne – oder sei es zunächst auch nur durch den elterlichen Shell Autoatlas (so eine Art Google Maps zum aufklappen, aber ohne GPS. Das gab’s erst 10 Jahre später). Fernreisen - ob ins Sauerland oder nach Spanien - waren nun auf eigene Faust möglich, mit all den damit mitunter verbundenen Härten und Risiken. All das ist selbstverständlich auch heute möglich, und dank moderner Kommunikationssystem ist der transportierte auch immer über Verbindungen, Verspätungen und Ausfälle des jeweils gewählten öffentlichen Verkehrsmittels bestens informiert. Und genau deshalb ist es ist letztlich etwas anderes ob man als Stückgut im Reisebus oder Zug expediert wird nachts auf der Autobahn in strömendem Regen mit unzuverlässiger Technik kämpft.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle noch einmal den Vergleich zur letzten großen Mobilitätsoffensive in Deutschland, die flächendeckende Einführung von Elektrotretrollern. Ein Elektroroller bringt dich lautlos von der dunklen Endhaltestelle in das Schlafklo Deiner Trabantenstadt, ein Moped brachte Dich sowohl beruflich voran als auch deinem Partner näher – und bei Bedarf auch schnell wieder weg.

Die letzte mobile Generation der Bonner Republik war bis heute immer in Bewegung, gehaftet haben wir höchstens für unsere Kinder. Ich frage mich was aus uns geworden ist. Dem Schwarm. Eben der letzten tatsächlich mobilen Generation. Daher möchte ich Sie gerne fotografisch kennenlernen, bei einem kurzem Portraitshooting (Beispiele aus einem anderem Projekt hier) im Studio. Ich freue mich über jede Mail.

 
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