André de Dienes und Bert Stern – Norma Jeane und Marilyn Monroe
Am 26. Juni jährt sich der Tod von Bert Stern, dem Fotografen, der mit seiner Bilderserie „The Last Sitting“ Marilyn Monroe ein letztes, visuelles Denkmal gesetzt hat. Fast zeitgleich wird in Deutschland eine Gesetzesinitiative diskutiert, die sogenannte „verbale sexuelle Belästigung“ – etwa Catcalling – künftig unter Strafe stellen will. Zwei sehr unterschiedliche Anlässe, die dennoch eine gemeinsame Frage aufwerfen: Was bedeutet Nähe zwischen den Geschlechtern heute – besonders dort, wo Blick, Bild und Begehren aufeinandertreffen?
Die Beziehung zwischen Fotograf und Modell ist ein Raum der Projektion – und manchmal auch der Intimität. Nirgendwo zeigt sich das deutlicher als in den Aufnahmen von Marilyn Monroe. Zwei Männer, zwei Perspektiven: André de Dienes und Bert Stern. Zwei Blicke auf dasselbe Gesicht – und doch zwei Welten.
Norma Jeane, Tobey Beach, vermutlich 1946, Andre De Dienes.
André de Dienes begegnete Norma Jeane, bevor sie im Dezember 1946 zu Marilyn wurde. Seine frühen Aufnahmen zeigen keine Ikone, sondern eine junge Frau im Übergang – tastend, offen, mit einem Lächeln, das noch nicht kalkuliert wirkt. Das Bild einer Verlobten. Über die Jahre wich sein dokumentarisches Interesse einer fast religiösen Verklärung. In späteren Texten beschreibt de Dienes ihre Beziehung weniger als professionelle Zusammenarbeit, sondern als schicksalhafte Bindung. Sein Blick wurde weicher, sentimentaler – und entgrenzter: Er sah nicht mehr die Frau, sondern eine Idee von ihr. Eine, die er selbst erschaffen hatte.
Bert Sterns „Last Sitting“ hingegen ist ein vollkommen anderes Kapitel. Entstanden wenige Wochen vor Monroes Tod, wirkt die Serie wie ein letzter Versuch der Kontrolle – und zugleich wie ein Moment maximaler Auslieferung. Stern sexualisiert, stilisiert – und dokumentiert zugleich den Zerfall. Seine Monroe ist eine Projektionsfläche im Vollbesitz ihrer Mittel, aber gezeichnet. Die Erotik liegt nicht im Körper, sondern in der Nähe zur Entgleisung. Wo de Dienes verklärt, zerlegt Stern.
Beide Fotografen porträtierten nicht nur – sie erschufen ihre eigene Version von Marilyn. Und offenbarten dabei auch ihre jeweilige Position innerhalb einer Beziehung, die weit über das Visuelle hinausging. Es ging nicht um technische Perfektion. Es ging um Nähe, um Deutungshoheit, um Begehren.
Die Frage, wie Nähe zwischen Fotograf und Modell dargestellt und wahrgenommen wird, ist längst selbst zum Gegenstand kultureller Aushandlung geworden. In einer Zeit, die sich nach Authentizität sehnt, sie aber durch permanente Selbstreflexion neutralisiert, steht dieses Verhältnis an einem neuen Punkt. Nach Jahren ideologisch aufgeladener Debatten – in denen jede Geste, jeder Blick, jede Form von Nähe auf moralische Kodierungen hin überprüft wurde – scheint sich wieder ein anderer Raum zu öffnen. Einer, der Nähe nicht sofort mit Macht gleichsetzt. Der Emotionalität zulässt, ohne sie zu instrumentalisieren. Der auch das Ungesagte wieder duldet.
Marilyn Monroe, Last Sitting, 1962, Bert Stern
Wir sind eine sexuell reproduktive Spezies – mit dem tief verankerten Impuls, das andere Geschlecht nicht nur zu erkennen, sondern zu verstehen, zu begehren. Diese anthropologische Grundkonstante wurde in den letzten Jahren überformt, tabuisiert, in Frage gestellt. Poesie wurde zensiert, Fotografie verdächtigt, das Schöne und das Zeigbare auf die kleinstmögliche identitäre Einheit reduziert. Zurück blieb ein Denken im engsten Radius um das eigene Selbst – eine spätmoderne Replik vormoderner Einschränkungen, diesmal im moralischen Gewand.
Deshalb ist es kein Rückschritt, sondern ein Fortschritt, wenn Fotograf und Modell wieder zueinander finden dürfen – nicht in romantischer Verklärung, nicht in kalkulierter Intimität, sondern in einem kontrollierten Vertrauen, das beide als Subjekte anerkennt. Die Kamera als Ort der Begegnung, nicht der Bewertung. Denn es gibt kaum etwas Kostbareres als ein echtes Gegenüber.
Auch wenn diese Nähe, wie bei André de Dienes, zur Projektionsfläche persönlicher Sehnsucht wird – bleibt darin doch ein stilles Bekenntnis zur Möglichkeit von Verbundenheit in einer Welt, die Nähe oft nur noch als Problem kennt.
Nach einem Streit verzichtete er darauf, sie noch einmal zu fotografieren. Später schrieb er:
„Ich fühlte mich vor Reue und Bedauern ganz erbärmlich. Mir wird es für den Rest meines Lebens leidtun, denn Gefühle können vergehen wie Rauch, Reden ist billig, aber Fotografien haben Bestand.“
Norma Jeane Baker wird am 1. Juni 1926 in Los Angeles geboren und stirbt am 5. August 1962 durch Suizid.
André de Dienes wird am 18. Dezember 1913 in Transsilvanien geboren und stirbt am 11. April 1985 in Kalifornien.
Bert Stern wird am 3. Oktober 1929 in Brooklyn geboren und stirbt am 26. Juni 2013 in New York.
Eine detaillierte Abhandlung zum Last Sitting mit Bert Stern findet sich hier.