Fotograf oder fotografierend?

Es gibt Begriffe, die – zumindest für mich – mehr sind als nur Worte. Fotograf ist einer davon. Ein Wort, das einst eine Berufung meinte: eine einzigartige Verbindung von Information und Kunst. Und Mut – denn es waren die zwölf verwackelten, beinahe verlorenen Fotografien Robert Capas vom Strand der Normandie, die mein Interesse an der Fotografie geweckt haben.

Heute wird dieser Begriff zunehmend aufgelöst, ersetzt durch Konstruktionen wie fotografierende Person oder durch das generische Gendern zu Fotografin* oder Fotograf:innen. Was dabei verloren geht, ist nicht nur sprachliche Eleganz, sondern ein tiefer kultureller und philosophischer Gehalt.

Sprache formt Denken. Dieser Satz ist banal – und dennoch nicht falsch. Wer Sprache oktroyiert, steuert das Denken. Das war in totalitären Systemen nie anders. Ob in der „neuen Sprache“ von Orwells Dystopie, im „Neusprech“ autoritärer Regime oder in der Umerziehung durch Begriffsveränderung im 20. Jahrhundert – immer bedeutete der Eingriff in die Sprache einen Eingriff in die Freiheit des Denkens. Heute geschieht Ähnliches im Namen der Gerechtigkeit. Sichtbarkeit wird zur obersten Maxime erklärt – selbst wenn sie Denk- und Sprachhorizonte einengt.

Catherine Leroy, vermutlich 1967, Fotograf unbekannt.

Die generische Form Fotograf war nie Ausschluss. Sie war Beschreibung. Und – in besonderen Fällen – ein Ehrentitel. Wer mit klarem Blick, handwerklichem Können und Gespür für Zeitgeist und Substanz fotografierte, wurde zum Fotografen. Ganz gleich, ob Frau oder Mann. Annie Leibovitz ist eine Fotografin, ja – aber vor allem ist sie: Fotograf. Genauso wie Catherine Leroy, die als Fallschirmspringerin den Vietnamkrieg dokumentierte. Oder Lee Miller, die in Hitlers Badewanne saß, nachdem sie zuvor mit den Surrealisten gearbeitet hatte. Was sie alle eint, ist nicht ihr Geschlecht – und noch weniger ihre Geschlechtsidentität –, sondern dass sie uns erlaubten, mit ihren Augen zu sehen.

Heute fotografiert jeder. Das ist ein Gewinn. Es gibt eine Demokratisierung des Bildes, eine Allverfügbarkeit visueller Mittel. Aber nicht jeder, der fotografiert, ist ein Fotograf. Wer jeden Ausdruck nivelliert, jede Differenz durch die Geste der Gleichstellung beseitigt, nimmt der Sprache ihre Ästhetik – und dem Denken seine Tiefe.

Wenn Sprache jede Möglichkeit zur Abstraktion verliert, weil jedes Merkmal, jede Gruppe, jeder Zustand explizit benannt sein muss, bleibt vom Bild nichts mehr übrig. Was bleibt, ist ein Bulletin. Ein Vermerk. Keine Metapher. Keine Konnotation. Keine Überraschung.

Ein Fotograf war einmal jemand, der uns die Welt anders zeigte. Der Moment und Idee zusammenbrachte. Die großen Reporterfotografen, die Ikonografen unserer Zeit, waren Seismografen der Realität. Ob sie Robert Capa hießen oder Dorothea Lange. Ob sie Louise Dahl-Wolfe waren oder Henri Cartier-Bresson. Avedon oder Rheims. Wer ihnen das generische Maskulinum abspricht, spricht ihnen zugleich jenen ikonischen Rang ab, der gerade über das Kollektivpronomen funktionierte: der Fotograf.

Dickey Chapelle, geboren 1919 in Milwaukee, gefallen 1965 bei Chu Lai in Vietnam. (Fotografie: Wisconsin Historical Society).

Und doch – so scheint es – beginnt sich die Debatte langsam, zögerlich zu entideologisieren. Denn Sprache kann niemanden retten. Aber gesteuerte Sprache lässt uns vieles verlieren. Das gilt auch für die Fotografie. Wer Fotograf sein will, darf das täglich neu für sich entscheiden. Wer einfach nur fotografiert, tut etwas anderes. Ebenso kann der Fotograf zum bloßen Fotografierenden werden – und der Fotografierende jederzeit zum Fotografen.

Beides hat seine Berechtigung. Der Fotograf steht dabei jedoch mehr im Risiko – seine Arbeit, sein Ansehen, manchmal sogar sein Leben. Dickey Chapelle, US-Kriegsreporterin und eine der ersten Frauen an vorderster Front, bezahlte mit dem Tod, als sie 1965 in Vietnam bei einer Explosion ums Leben kam. Sie war keine „fotografierende Person“. Sie war Fotograf.

Am Ende ist es einfach: Wer glaubt, Sprache müsse immer alles mitmeinen, nimmt ihr das, was sie am besten kann – etwas zu meinen, das größer ist als wir selbst.

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