Content Slop: Die industrielle Mast der Aufmerksamkeit
Erinnern Sie sich an den „Shrimp Jesus“? Oder die Kinder, die angeblich aus Plastikflaschen im Schlamm lebensgroße Autos bauen? Diese Bilder haben Facebook in den letzten Monaten geflutet. Sie sind hässlich, sie sind offensichtlich gefälscht, sie sind bizarr. Und sie haben Millionen von Likes. Willkommen im Zeitalter von Content Slop.
„Slop“ (auf Deutsch etwa: Fraß, Schweinefutter oder Matsch) ist der neue Fachbegriff für jenen unaufhörlichen Strom an minderwertigen, KI-generierten Inhalten, der das Internet verstopft wie Cholesterin eine Arterie. Es ist kein Spam im klassischen Sinne – niemand will Ihnen Viagra verkaufen, jedenfalls nicht sofort.
Es ist die radikale Ökonomie des geringsten Widerstands: Inhalte, die fast nichts kosten, massenhaft produziert; der gleiche Inhalt mit kleinsten Modifikationen nicht mehr für einen, sondern für Hunderte Kanäle. Der Aufwand für die Erstellung tendiert gegen null, ebenso wie die Erkenntnis, die in Slop zu finden ist. Das Absolute, gleich ob wahr oder falsch, dominiert; die Nuance hat hier keine Chance.
Man kann sich Slop vorstellen wie das „Pink Slime“ in der Fleischindustrie: billiger Füllstoff, der das Volumen erhöht, ohne Kosten zu verursachen. Früher brauchte man für einen Blogpost, ein Video oder ein Meme einen Menschen. Letztere sind teuer, langsam und haben Launen. Heute kostet die Erstellung von zehntausend Bildern von „Jesus aus Garnelen“ oder hunderttausend SEO-Artikeln über „Die besten Toaster 2025“ nur noch Stromkosten und einen API-Key.
Das Ergebnis ist eine ökonomische Perversion: Das Angebot an Content wird unendlich, die Grenzkosten sinken auf null. Was passiert, wenn das Angebot unendlich ist? Der Wert der einzelnen Information kollabiert. Wir ertrinken nicht in Wissen, wir laufen Gefahr, in digitalem Füllmaterial zu ersticken. Wer heute ein Kochrezept sucht, muss sich durch 2000 Wörter KI-generierte Familiengeschichte scrollen („Meine Großmutter liebte den Herbst...“), bevor er die Zutatenliste findet. Das ist Text-Slop.
Das Unheimliche an Content Slop ist nicht seine Hässlichkeit, sondern seine Einsamkeit. Schauen Sie in die Kommentare unter dem Shrimp Jesus. Tausende Profile schreiben „Amen“, „Beautiful“, „God Bless“. Sind das Menschen? Wahrscheinlich nicht. Es sind Bots, die auf Bot-Content reagieren, um Engagement zu simulieren, damit der Algorithmus den Müll an die wenigen verbliebenen echten Menschen ausspielt. Wir erleben die Bestätigung der „Dead Internet Theory“: Das Netz wird endgültig zur geschlossenen Anstalt, in der KIs Selbstgespräche führen. Wir Menschen sind nur noch die Zaungäste, die Batterien in der Matrix, deren Klicks die Serverfarmen finanzieren.
Gleichzeitig beginnt die KI, ihren eigenen Abfall zu fressen. Wenn das Internet zunehmend aus Slop besteht, trainieren die nächsten KI-Modelle mit den Daten der aktuellen KI-Modelle. Forscher nennen das „Model Collapse“. Wenn eine KI nur noch von KI lernt, degeneriert sie. Die Bilder werden grotesker, die Texte sinnfreier, die Logik implodiert. Der digitale Ouroboros frisst seinen eigenen Schwanz und erstickt daran.
Das offene Web gerät in einen Zangenangriff aus Zensur und Slop. Die Google-Suche liefert zunehmend Müll, Social Media wird zum Zombie-Friedhof. Vielleicht werden wir uns wieder in „Dark Forests“ zurückziehen: geschlossene Discord-Server, bezahlte Newsletter, kuratierte Foren, echte physische Magazine. Orte, an denen ein Türsteher steht. Qualität wird wieder exklusiv. Die Wahrheit, die echte menschliche Stimme, das authentische Foto – all das wird entweder zum seltenen Einhorn oder verschwindet hinter Paywalls und Logins.
Draußen, im öffentlichen Internet, wird – zumindest in dieser Vision, die auch nur wieder eine von vielen ist – nur noch der Slop wabern. Ein endloser Strom aus Garnelen-Jesus-Bildern und synthetischem Textbrei, der von Maschinen für Maschinen produziert wird.
Doch bevor wir den digitalen Abgesang anstimmen, lohnt ein Blick in den Rückspiegel. Das Internet stand schon einmal kurz vor dem Ersticken. Wir haben das bereits erlebt: Vor der Ära des „Panda-Updates“ 2011 wurde Google von sogenannten Content-Farms wie Demand Media regelrecht geflutet. Das Geschäftsmodell war simpel: Menschliche Klickarbeiter produzierten für wenige Cent massenhaft triviale „How-to“-Artikel, nur um Werbung zu verkaufen. Davor gab es wilde Zeiten, in denen Seitenbetreiber Suchbegriffe fünfhundertmal in weißer Schrift auf weißem Grund wiederholten, um das Ranking zu manipulieren. Die Suche war für eine Weile praktisch unbrauchbar, eine einzige Katastrophe. Doch das System hat sich korrigiert. Google lernte, Qualität zu messen, und drängte den Müll mit neuen Filtern radikal zurück. Die Content-Farms starben, die Qualität gewann – vorübergehend – wieder die Oberhand. Vielleicht erleben wir gerade nur den nächsten, wenn auch aggressiveren Zyklus dieses Katz-und-Maus-Spiels. Womöglich werden die Filter besser, unsere Medienkompetenz schärfer und wir lernen, die Wahl zwischen „Human“ und „Machine“ ganz selbstverständlich zu treffen. Vielleicht kollabiert das Netz nicht, sondern häutet sich nur. Alles wird rosa? Sicher nicht. Aber vielleicht auch nicht ganz so düster, wie es der Slop gerade malt.
Guten Appetit – und ein frohes Fest.