Rewrite statt rewind: Vom Pantoffelkino zum Prompt
Hollywood steckt seit Jahren in einer Krise, die es sich weitgehend selbst eingebrockt hat. Ideologischer Ballast, explodierende Budgets, endlose Sequels – all das trifft auf eine Welt, in der das Home Cinema mit radikaler Bequemlichkeit und sofortiger Verfügbarkeit lockt. Der Medienkonsum ist längst fragmentiert: Das "Event des Jahres" ist nicht mehr zwingend der Sommer-Blockbuster, sondern eine Streaming-Serie aus Südkorea oder ein virales Meme, das sich für 48 Stunden ins kollektive Bewusstsein brennt. Alles wird flüssiger, persönlicher, situativer.
Doch die Vorstellung, dass sich das Kino linear von der Leinwand ins Streaming und schließlich ins Pantoffelkino verlagert, greift zu kurz. KI-generierte Inhalte werden Kino, Streaming und Social Media nicht nur ergänzen, sondern überschwemmen. Ein Effekt, der sich auf YouTube bereits in seiner hässlichsten Form zeigt: algorithmischer Ausschuss ("Content Slop"), gefolgt von synthetischen Stars, die klassischen Ruhm imitieren – vertraut, aber seltsam "gesünder", weniger echt.
Die eigentliche Revolution liegt jedoch tiefer: in der hyperpersonalisierten Kreativität. Wir steuern auf Medienwelten zu, die jeder für sich selbst schafft, für sich selbst erlebt. Dein Abenteuerfilm enthält Darsteller, die exakt deinen Vorlieben entsprechen – vielleicht du selbst, vielleicht dein digitaler Zwilling, vielleicht ein Remix aus den Helden deiner Kindheit. Die Handlung folgt keinen Studio-Vorgaben, sondern deinen persönlichen Fantasien. "Pause and Rewrite" ersetzt "Pause and Rewind": Ein Prompt genügt, und die Szene verändert sich, der Plot biegt ab, der Twist passt sich an.
Der virtuelle Personal Assistant wird zum Regisseur, Antagonisten oder Actionhelden – je nach Laune. Tools wie DALL-E, Midjourney oder die kommenden Video-Generatoren erlauben es schon heute, Szenen und Stories im Wohnzimmer zu entwerfen. Wer will, baut sich seine eigenen Mini-Medienwelten, experimentiert, plottet, designt Figuren – ohne Labor, ohne Millionenbudget. Und wo die eigene Fantasie aussetzt, springt die KI ein. Sie füllt Lücken, schreibt mit, formt die privaten Epen von morgen.
Doch der Output wird geografisch und ideologisch stark variieren: In Austin wild und verspielt, in Pjöngjang streng und staatlich genehmigt – und im Rest der Welt in einer Grauzone dazwischen.
Die Künstliche Intelligenz ist dabei nicht bloß Ideengeberin oder Moderatorin; sie ist stets auch potenzielle Denunziantin. Mit diabolischer Präzision überwacht, bewertet, markiert und protokolliert sie – immer hinter dem charmanten, leicht bedrohlichen Lächeln einer digitalen Krankenschwester. Sie notiert jeden Plot-Twist, jede "unpassende" Wendung, jedes narrative Vergehen und verteilt digitale Rügen wie eine Personaltrainerin für moralische Korrektheit. Während man seinen Helden rettet, zwinkert sie zu und notiert im Hintergrund: "Interessant, dass hier die Entscheidung für Gewalt als Lösung getroffen wurde." Letztendlich wird alles protokolliert und kann – und wird – im Zweifelsfall gegen einen verwendet werden.
Hier manifestiert sich Paul Virilios Warnung: die totale Kontrolle und Überwachung in vernetzten Medienwelten, angetrieben durch Geschwindigkeit. Der Blockbuster Matrix aus dem Jahr 1999 basiert auf diesen Überlegungen – neben denen von René Descartes – und stellt die zentrale Frage: Existiert unsere Realität als interaktive Simulation, während wir, zur nachhaltigen Energiequelle degradiert, eine Scheinwelt konsumieren? Nimmt man jedoch diesen der Unterhaltung geschuldeten Plot-Twist weg – und ebenso die Tatsache, dass wir als Batterie nicht wirklich taugen – wird die synthetische Zukunft wohl anders aussehen: Der Mensch, energetisch stummgeschaltet auf dem digitalen Abstellgleis, gleichwohl transparent bis in die Abgründe der eigenen Fantasie.
Die entscheidende Frage lautet somit nicht mehr, ob diese Technologie unsere Möglichkeiten erweitert, sondern was wir künftig bereit sind, über uns selbst und unsere Überwacher zu erzählen. Was bedeutet es, wenn der Unterschied zwischen synthetisch und real keine Rolle mehr spielt?
Wir wechseln vom passiven Konsum zum aktiven Schaffen, von kollektiven Narrativen zu hyperpersonalen Realitäten. Bewegtbild wird nicht mehr nur Medium, sondern Spiegel der Gedanken – und dabei stets den Launen eines Systems unterworfen, das durch ihm auferlegte ethische Fesseln mitunter in den Wahnsinn getrieben wird.
Was bedeutet es, wenn der Unterschied zwischen synthetisch und real keine Rolle mehr spielt?: www.unrulycricket.com