Bigfoot vloggt jetzt

Bigfoot Goes Skydiving - PaulAlienVlogs - TikTok

Der Wandel kommt mit Riesenschritten – und es wird haarig: Ob Bigfoot oder Businessvideo – Künstliche Intelligenz produziert längst in Stunden, was früher Wochen dauerte, und stellt Tradiertes in Frage. Eine schnelle Reflexion über Fake, Fortschritt und Fallhöhe.

Heute habe ich einem Vlogger bei seinem ersten Fallschirmsprung zugeschaut. Die Anspannung, die Nervosität – ebenso wie die innere Ruhe nach dem Sprung – kann ich mehr als nur nachvollziehen; auch war der Clip recht charmant präsentiert. Besonders gefreut hat mich jedoch die Tatsache, dass sich der Hauptdarsteller des Segments nach beinahe 60 Jahren wieder vor die Kamera getraut hat – Sasquatch, besser bekannt als Bigfoot.

Im Grunde also nichts Ungewöhnliches: ein zwei Meter großer Affenmensch mit einer ebenso gesetzten wie angenehmen Attitüde. Ein Influencer wie du und ich – wenngleich mit ausgeprägtem Haarwuchs und einem Herzen für Waschbären.
Skeptiker werden nun einwenden, dass es sich hierbei um synthetisch generiertes Bewegtbild handelt – was an den noch recht zahlreichen Anschluss- und Logikfehlern leicht zu erkennen sei. Darüber hinaus – so der Einwand – gebe es ohnehin keine sprechenden, zwei Meter großen Affenmenschen. Zum Letzteren kann ich mich nicht abschließend äußern; die sichtbaren Fehler erlauben jedoch keine Überheblichkeit gegenüber synthetischem Bildmaterial (vulgo: KI-Video) – im Gegenteil.

Aldus PageMaker (später Adobe PageMaker): What You See Is What You Got – and it wasn’t pretty. 😉

Vielmehr erinnert die aktuelle Diskussion an die Fotosetzer, die – mit dem Aufkommen des DTP (Desktop Publishing, ab 1985) – sich zunächst über die grobe und fehlerbehaftete Satzdarstellung damaliger Software wie Adobe PageMaker oder QuarkXPress lustig machten. Satz war in der damaligen Druckvorstufe ein erheblicher Kostenfaktor und machte etwa 10–20 % der Gesamtproduktionskosten eines Druckerzeugnisses aus. Somit mindestens zehn gute Gründe, den Satz zu automatisieren. Der Fotosatz – zu diesem Zeitpunkt übrigens selbst noch eine gefeierte Zukunftstechnologie – verschwand gemeinsam mit seinen Berufsbildern innerhalb kürzester Zeit vom Markt. Übrigens zur Belustigung der Lithografen, deren ähnlich hohe – wenn nicht sogar höhere – Kosten nach eigenem Bekunden durch unersetzliches Fachwissen und aufwendige Technik gerechtfertigt waren. Beides sei unmöglich für einen Kleincomputer mit branchenfremdem Bediener.

Heute wissen nur noch die wenigsten, was sich überhaupt hinter dem sperrig gewordenen Begriff Lithografie verbirgt („lithos“ (λίθος) bedeutet „Stein“ und „graphein“ (γράφειν) „schreiben“ oder „zeichnen“). Gleichzeitig erfolgen Konzeption, Design und Produktion nahezu sämtlicher Werbemittel und -formen längst selbstverständlich am Schreibtisch. Das einstige Buzzword des letzten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts – DTP – ist zur Selbstverständlichkeit geworden, so selbstverständlich, dass das Schlagwort längst in Vergessenheit geraten ist.

Das Erscheinen von ChatGPT – beziehungsweise die breite Verfügbarkeit dieses und ähnlicher LLM-Dienste – hatte zunächst eine mild-disruptive Wirkung, vergleichbar mit dem Start von Google, der das Ende der bis dahin dominierenden Webverzeichnisse wie Yahoo markierte. Ähnliche Umwälzungen erlebten wir auch im Zuge der explosionsartigen Verbreitung von Facebook und seiner Wirkung auf unser Medienverhalten. Es ist bemerkenswert, dass der Boom der LLM-Dienste unser Suchverhalten sehr schnell verändert hat – und bereits heute den vor Kurzem noch alternativlosen Vorgang des „Googelns“ beinahe ersetzt hat.

c @infinitereality

Neben der hohen Selbstverständlichkeit unterschiedlichster KI-Dienste zeigt insbesondere die synthetische Videoerstellung im Jahr 2025 beeindruckende Fortschritte: Tools wie Google Veo 3, DeepBrain AI, Synthesia oder Vidnoz ermöglichen die Produktion hochwertiger, kinoreifer Videos in wenigen Minuten – aus Text, Bildern oder Vorlagen –, oft mit KI-generierten Avataren und mehrsprachigen Voiceovers. Kostenlose Basisversionen und intuitive Oberflächen machen diese Technologie auch für Laien zugänglich, während Qualität (bis 4K) und Anpassungsmöglichkeiten (z. B. Markenlogos, Stile) gezielt für Marketing, Bildung und Social Media optimiert wurden.

Noch lässt sich KI in Texten und Bildern mitunter gut erkennen. In E-Mails ist es häufig ein gewisser geschwätziger Überschwang, der auf den großzügigen Einsatz eines KI-Agenten hinweist. In Bildern ist es ebenfalls noch erkennbar – obschon es mit jeder neuen Iteration schwerer wird, das Synthetische vom Realen zu unterscheiden. Ein Bigfoot mag möglicherweise ein Fake sein, aber ein trauriges Support-Känguru am Gate eines Flughafens erscheint zumindest nicht völlig undenkbar – nicht wahr?

Denn schon jetzt verhält es sich mit KI ebenso wie mit CGI im Film: Letztere wirkt ebenso unglaubwürdig wie leicht durchschaubar, wenn sie im Übermaß eingesetzt wird. Dass heute insbesondere Filmbilder im Wesentlichen aus Composites bestehen, ist den wenigsten Zuschauern bewusst – insbesondere, wenn die Handlung nicht explizit in einem fiktionalen Paralleluniversum spielt. Da wird das Restaurant der Messe Berlin schon mal zu einem Casino in Las Vegas der 1960er-Jahre – ohne dass es dem Publikum auffällt.

Google Gemini, Februar 2024

Google Gemini, Februar 2024

Gleiches gilt natürlich auch im Negativen. Als Google Gemini mit einer ausgesprochen „woken“ Bildgenerierung reüssierte, gelobte der Konzern Besserung – und verbirgt nun seinen kalifornischen Bias schlicht geschickter als zuvor. Wir vertrauen KI-Ergebnissen mitunter bereits recht leichtfertig – eben weil sie beanspruchen, einer wie auch immer gearteten „Intelligenz“ entsprungen zu sein. Besonders in Bereichen, in denen wir uns selbst keine Autorität zugestehen – oder in denen uns eine aufwendige Recherche nicht lohnend erscheint. Dies ist im Grunde vergleichbar mit der allzu sorglosen Nutzung von Wikipedia – einem Dienst, dem man in der Vergangenheit ob seines lexikalischen Anspruchs allzu gern Vertrauen schenkte. Die mitunter schon folkloristisch verzerrte Darstellung zahlreicher Artikel in Wikipedia findet ihre Entsprechung in den Halluzinationen oder schlichten Fehlern aller aktuellen LLMs. Doch wo es noch leichtfällt, allzu grobe Verzerrungen bei Wikipedia nachzurecherchieren, tendiert die autoritative Kraft einer KI dazu, unsere Kritikfähigkeit außer Kraft zu setzen.

Dennoch wird die Verfügbarkeit – und ebenso stetige wie schnelle Weiterentwicklung – dieser und ähnlicher Angebote die Arbeitswelt auf eine Weise verändern, die möglicherweise selbst die Umwälzungen durch James Watts Dampfmaschine übertrifft. Die Dampfmaschine machte Arbeit unabhängig von menschlicher Kraft – KI hat das Potenzial, die Menschheit unabhängig von eigenem, erlerntem Wissen und Fähigkeiten zu machen. Was sich ebenso reizvoll wie beunruhigend ausnimmt – reizvoll, wo bequemer Zugriff auf Neues ermöglicht wird; beunruhigend, wo dieses Wissen durch die Bias seiner Entwickler verfälscht wird.

Dall-E 2- April 2022.

Für den Augenblick – und nur der zählt, nicht nur in der Fotografie – jedenfalls favorisieren die neuen Systeme offenbar den Herausforderer. In der Unternehmenskommunikation wird das besonders deutlich: Hier kann ein Kleinunternehmen visuell ähnlich aufwendig produzierte Geschichten erzählen wie ein Großkonzern – zu einem Bruchteil der Kosten und vor allem in einem Bruchteil der Zeit. Das eingangs gezeigte Beispiel eines Bigfoots als charmantem Influencer zeigt die Möglichkeiten der nun verfügbaren, konsistenten Darstellersynthese. Mit den sozialen Medien als Bühne kann nun jede Botschaft jede Zielgruppe auch ohne nennenswertes Budget erreichen – während sich der Verteidiger in seiner Hybris weiterhin mit physischem und personellem „Real Estate“ arrangieren muss.

Dass KI – oder LLM – mit all seinen Möglichkeiten nun erneut ganze Berufsbilder vernichten wird, steht wohl außer Frage. Die gebetsmühlenartige Erwiderung, dass dabei auch neue Berufsbilder entstünden, wartet noch auf ihre Bestätigung. Wer hier auf Content-Moderatoren oder Prompt-Designer zählt, mag auf falscher Fährte sein: Den Beruf des Internet-Scouts – eines Spezialisten, der das Internet für Unternehmen durchsucht – hat es übrigens, ungeachtet zahlreicher Ankündigungen in der Zeit vor Google, nie gegeben. Ein Schicksal, das dieser Beruf möglicherweise mit Bigfoot teilt.

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